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Die große Bananenprüfung: Wie Wagenknecht die Wahlklage zur politischen Oper macht

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Die große Bananenprüfung: Wie Wagenknecht die Wahlklage zur politischen Oper macht

Es gibt in der deutschen Politik Momente, in denen selbst altgediente Beobachter tief Luft holen, die Brille putzen und sicherheitshalber zweimal in den Kalender schauen. Nicht, weil sie sich verlesen hätten, sondern weil das Geschehen absurd genug wirken könnte, um für einen gut geratenen Aprilscherz gehalten zu werden. Der aktuelle Fall des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und seiner verlorenen Bundestagswahl gehört genau in diese Kategorie.

Neun Monate lang – also ein kompletter politischer Schwangerschaftszeitraum – hoffte das BSW darauf, dass die Bundestagswahl neu ausgezählt wird. Eine Hoffnung, die man beinahe zärtlich nennen könnte, wenn sie nicht gleichzeitig mit einer derart massiven Skandalisierungsenergie betrieben worden wäre, dass man sich streckenweise fragte, ob hier nicht jemand parallel ein PR-Seminar mit dem Thema „Empörung 4.0“ besucht hat.

Der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags hat heute entschieden: keine Neuauszählung. Ende der Durchsage. Ein nüchterner Paragraphenmoment, der in jeder kommunalpolitischen Sitzung unbemerkt durchrutschen würde. Doch nicht so beim BSW – und schon gar nicht bei dessen Namensgeberin und politischer Dauerkraftmaschine Sahra Wagenknecht.

Kaum war die Entscheidung öffentlich, entfaltete Wagenknecht die gesamte Bandbreite ihres rhetorischen Repertoires – die man in drei Kategorien einteilen kann:

  1. historisch dramatisierend,
  2. staatsskeptisch zugespitzt und
  3. tropenfruchtbasiert.

„Deutschland hat die Wahlprüfung einer Bananenrepublik.“

Dieser Satz ging – erwartbar – viral. Nicht nur wegen seiner politischen Aussagekraft, sondern vor allem wegen des gewissen Charmes, der entsteht, wenn eine Spitzenpolitikerin ein hochkomplexes, juristisch elaboriertes Prüfverfahren in einem tropisch inspirierten Bild zusammenfasst.

Man sieht förmlich vor sich, wie irgendwo im Bundestag ein Stapel Wahlunterlagen neben einem Früchtekorb liegt und ein Referent panisch ruft: „Hilfe, die Opposition hält uns für eine Obstschale!“

In Gesprächen mit Spiegel und dpa legte Wagenknecht nach. Die Wahlprüfung sei antiquiert, undemokratisch, „eine Regel aus der Kaiserzeit“.

Die Kaiserzeit. Ein verlässlich eingesetztes historisches Schreckgespenst im deutschen Diskurs.

Denn nichts erzeugt mehr Dringlichkeit als die Behauptung, jemand arbeite noch nach Prozessen aus einer Epoche, in der das Telefon gerade erst erfunden wurde und Parlamentarier Schnurrbärte trugen, die heute unter das Waffenrecht fallen würden.

Richter in eigener Sache – und ein Verfahren, das länger dauerte als mancher Berliner Flughafen

Der Wahlprüfungsausschuss ist per Grundgesetz tatsächlich das Gremium, das Beschwerden bewertet – und ja, die Mitglieder des Bundestags sind dabei die Prüfer. Man kann das kritisieren, man kann das ändern wollen – aber man kann es auch als demokratische Routine sehen, wie sie seit Jahrzehnten funktioniert.

Für Wagenknecht jedoch wirkte dieses Verfahren, als habe man ihr erklärt, die Wahlhelfer seien alle mit Bronzeäxten erschienen und hätten Steinplatten ausgezählt.

Besonders störte sie das Tempo.

Seit Juli, so das BSW, habe man Stellungnahmen abgegeben, Hinweise geliefert, Beispiele genannt. Und erst im Dezember sei beraten worden. Für die deutsche Bürokratie ist das jedoch beinahe Lichtgeschwindigkeit.

Einige Wahlleitungen arbeiten normalerweise schneller – andere würden sich freuen, wenn sie überhaupt einen Internetanschluss hätten, der beim Versenden von PDFs nicht kollabiert.

Die Fünfprozenthürde – das Nadelöhr, das Wahlträume in Schweiß verwandelt

Das BSW war knapp gescheitert. Unangenehm knapp. So knapp, dass man politische Hoffnung darin konservieren kann.

Die Partei begründet ihre Beschwerde mit möglichen Zählfehlern. Der Ausschuss sieht das nicht so.

Das wirkt ein bisschen wie eine Mischung aus: „Der Lehrer hat falsch korrigiert!“ und „Das Matheheft war verzählt!“

Die Realität ist jedoch: Wahlprüfungen bestätigen regelmäßig Ergebnisse. Abweichungen gibt es – aber äußerst selten in Dimensionen, die ein Wahlergebnis verändern.

Doch für eine politische Bewegung, die ihr Profil darauf aufgebaut hat, das System kritisch zu hinterfragen, ist dieses Ergebnis eine Steilvorlage. Und Wagenknecht ist nicht irgendwer – sie ist politisch so geübt darin, systemische Ungerechtigkeit zu benennen, dass sie notfalls aus einem falsch gesetzten Komma einen Klassenkampf ableiten könnte.

Karlsruhe – das neue Sehnsuchtsziel der Wahlverlierer

Das BSW kündigt an, nun vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Wagenknecht ist optimistisch, dass die Richter eine Neuauszählung anordnen werden.

Optimismus ist wichtig. Optimismus ist schön. Optimismus ist politisch wertvoll.

Aber Optimismus ersetzt keine Rechtsgrundlage.

Ihr Argument: Es dürfe „nicht ungeklärt bleiben, wie das korrekte Wahlergebnis tatsächlich war“. Das hat die Grandezza eines Satzes, den man auch im antiken Rom hätte verwenden können, kurz bevor man das Volk zum Marktplatz einberief.

Zwischen Bananenmetaphern und Paragrafenrealität

Am Ende bleibt ein bemerkenswertes Schauspiel: Der Staat prüft – korrekt, langsam, gründlich. Und die Partei inszeniert – laut, empört, bildstark.

In einer politischen Landschaft, in der nüchterne Verwaltungsakte kaum Aufmerksamkeit erzeugen, schafft es Wagenknecht, die Wahlprüfung zur republikanischen Tragikomödie zu machen.

Ob Karlsruhe neu auszählen lässt? Unwahrscheinlich.

Ob Wagenknecht das Verfahren kommunikativ nutzen wird? Garantiert.

Denn wer es schafft, eine Wahlprüfung in eine Tropenfruchtparabel zu verwandeln, hat verstanden, wie moderne politische Narration funktioniert.