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Feuerwerk statt Fakten: Wie Weidel den Verfassungsschutz zur persönlichen Bühnenkulisse macht
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- tmueller
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Es gibt politische Momente, die wirken wie eine nüchterne Verwaltungsmitteilung: sachlich, dröge, rechtlich korrekt. Und es gibt politische Momente, in denen eine Partei entscheidet, aus einer solchen Verwaltungsmitteilung ein galaktisches Drama zu inszenieren – mit Nebelmaschine, dramatischer Musik und spontaner Pyroshow. Die überraschend unaufgeregte Mitteilung des Bundesamtes für Verfassungsschutz Anfang Mai, die AfD bundesweit als gesichert rechtsextremistische Bestrebung einzustufen, hätte eigentlich zur ersten Kategorie gehören können. Doch die Reaktion der AfD – und insbesondere ihrer Co-Vorsitzenden Alice Weidel – hob das Ganze umgehend auf die zweite Stufe: Politische Operette in drei Akten.
Erster Akt: Die nüchterne Behörde und die sehr unnüchterne Partei
Der Inlandsnachrichtendienst verkündet: Die Prüfung sei abgeschlossen, die Erkenntnisse eindeutig – die AfD sei in ihrer derzeitigen Form nicht nur ein Verdachtsfall, sondern eine gesicherte rechtsextremistische Bestrebung. Eine Einordnung, die allein durch ihre Länge schon nach juristischem Beamtenportwein klingt.
Doch kaum ausgesprochen, landet die Nachricht wie ein Schockwellenalarm im Bundesparteibüro der AfD. Es folgt die juristische Standardreaktion: Klage einreichen, Einstufung stoppen, Druck aufbauen.
Während das Verwaltungsgericht nun in aller Ruhe prüft, setzt die AfD eine Kommunikationskampagne in Gang, die sich stilistisch irgendwo zwischen Actionfilm-Trailer und Dauerwahlkampf bewegt. Und mittendrin steht Alice Weidel, die politische Pyrotechnikerin der Partei, die mit gewohnter Eleganz zwischen geschliffenen Formulierungen und verbalen Brandsätzen wechselt.
Zweiter Akt: Weidels rhetorische Feuerwerksshow
Im Gespräch mit „Welt“-Chefredakteur Jan Philipp Burgard startet Weidel direkt im höchsten Erregungsmodus. Der Verfassungsschutz sei „eine Ansammlung schmieriger Stasi-Spitzel“. Eine Aussage, die mehrere Effekte gleichzeitig erzielt:
- Historische Verharmlosung – Check
- Emotionalisierung des Publikums – Doppelcheck
- Faktenfreie Suggestion staatlicher Willkür – Check
- Mediale Schlagzeilenproduktion innerhalb von 24 Sekunden – Triple-Check
Der Vergleich mit der Stasi ist aus rhetorischer Sicht der politische Klassiker im AfD-Repertoire: Wenn es sachlich eng wird, hilft der Grusel aus der Vergangenheit. Das Muster ist alt, durchschaubar – und dennoch zuverlässig wie ein Küchenwecker.
Weidel beschwert sich außerdem, der Verfassungsschutz sei „abhängig“, „politisch gesteuert“ und „voller Partei-Gänger“. Der Vorwurf, die Behörde sei nicht neutral, ist für sie ungefähr das, was Salz für Kartoffeln ist: Sie streut ihn reflexartig drüber, egal, ob’s passt oder nicht.
Die Tatsache, dass sowohl der Bundestag als auch unabhängige Gerichte die Behörde kontrollieren und dass ihre Einstufungen auf tausenden Seiten Material beruhen, erscheint in diesem rhetorischen Konzept eher hinderlich. Eine inhaltliche Auseinandersetzung? Unpraktisch. Da müssten ja Argumente her.
Dritter Akt: Attacke auf Stephan Kramer – die Modekritik als Politikersatz
Doch die wahre Glanzstunde folgt erst noch. Weidel widmet sich dem Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer – allerdings nicht in politischer Analyse, sondern in einer Art spontaner Mode- und Lifestylekritik.
„Diesen Kramer da mit diesem Bart und so. Wie der aussieht, was das für Leute sind.“
Man muss anerkennen: Es gehört Mut dazu, in einer Bundestalkshow die politische Auseinandersetzung durch eine optische Bewertung des Gegenübers zu ersetzen. Es erinnert an Grundschul-AG „Theater & Improvisation“, nur mit schlechterem Skript.
Weidel behauptet zusätzlich, Kramer sei „in einer Biker-Vereinigung“. Ob dies als Kritik, Kompliment oder Sozialstudie gemeint war, bleibt unklar. Sicher ist nur: Je weniger die AfD sich mit Kramers tatsächlichen Berichten beschäftigt, desto mehr reden ihre Spitzenpolitiker über seinen Bart. Das ist politisches Agenda-Setting auf dem Niveau: Wenn du die Fakten nicht magst, bewerte das Outfit.
Zwischenfazit: Die AfD verwandelt staatliche Einstufung in Wahlkampfmaterial
Die Partei nutzt die juristische Auseinandersetzung als politisches Futter: Wir werden verfolgt. Der Staat bekämpft uns. Wir sind die einzigen Mutigen.
Diese Opfererzählung ist längst Teil ihres Markenkerns. Und der Verfassungsschutz spielt dabei in ihren Augen die Rolle, die der böse Zauberer im Kinderbuch hat: praktisch, gruselig, dramaturgisch unverzichtbar.
Dabei übersieht die AfD konsequent, dass die Einstufung des Verfassungsschutzes nicht auf spontanen Bauchgefühlen beruht, sondern auf langer Beobachtung, Auswertung, Analysen und juristischen Kriterien. Wenn ausgerechnet eine Partei, die regelmäßig fordert, dass staatliche Institutionen härter durchgreifen sollen, plötzlich jede staatliche Einstufung als „diffamierend“ abwehrt, zeigt sich ein bemerkenswerter politischer Eiertanz.
Finale Szene: Der Staat schweigt – und wirkt dadurch unfreiwillig souverän
Der Verfassungsschutz reagiert nicht. Kein Gegenangriff, kein öffentliches Duell, kein Bart-Statement von Kramer. Die Behörde sagt nur: Das Gericht entscheidet.
Und während die AfD die Bühne mit Flammenwerfern bespielt, steht der Staat daneben wie jemand, der weiß: Man muss nicht jeden Theaterdonner kommentieren.