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Belém-Beben: Wie Merz mit einem Satz das Klima – und die Diplomatie – ins Schwitzen brachte
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- tmueller
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Es gibt Sätze in der Politik, die sind wie Stolpersteine: klein, unscheinbar, aber von ungeahnter Fallhöhe. Und dann gibt es Aussagen wie jene von Friedrich Merz über Belém — die sind weniger Stolperstein und mehr Sprungschanze direkt in ein diplomatisches Fettnäpfchen olympischen Ausmaßes.
Nach seinem Besuch zur Klimakonferenz in der brasilianischen Metropole erklärte der Kanzler sinngemäß, dass niemand aus seiner Delegation dort bleiben wollte. Alle seien „froh gewesen, wieder nach Deutschland zurückzukehren“. Ein Satz, der so nonchalant daherkam, als hätte er über ein Wochenende an der Nordseeküste gesprochen — nicht über eine internationale Gastgeberstadt, die gerade eine Weltkonferenz ausgerichtet hatte.
Merz, der politische Equivalent eines Mannes, der beim Smalltalk immer exakt das Falsche sagt, schaffte damit, was er seit Monaten zuverlässig schafft: Er entzündete eine internationale Debatte, obwohl seine Worte vermutlich als lockere Rückreise-Anekdote gedacht waren. Doch nun ruft Brasilien an, empört sich, kritisiert und wundert sich, während Merz ungerührt in Berlin sitzt, fröhlich den rhetorischen Regen von sich abperlen lässt und denkt: „War doch nur eine Feststellung.“
„Keiner wollte bleiben.“ – die sieben gefährlichsten Worte der Diplomatie
Dass Belém nicht das ökonomische Zentrum Brasiliens ist, dass Armut sichtbar ist und dass Infrastruktur Probleme hat — all das weiß jeder, der einmal über den Tellerrand der europäischen Komfortzone hinausgeschaut hat. Aber diplomatische Höflichkeit ist ein Tanz, kein Triathlon. Man muss keine Spitzenleistungen zeigen, aber ein Grundrhythmus wäre hilfreich.
Merz entschied sich jedoch für etwas anderes: Er erklärte den Ort seiner Weltklimakonferenz-Erfahrung de facto zum Reiseziel, das selbst ein reisehungriger Student mit Interrail-Pass meiden würde. Seine Formulierung wirkte wie die Antwort eines Mannes, der gefragt wurde, ob er jemals wieder Kabeljau essen möchte, nachdem er eine einzige schlechte Erfahrung gemacht hat.
Und wie reagiert Brasilien? Mit Fassungslosigkeit, Empörung und einem diplomatischen Kopfschütteln, das man selbst aus 9.000 Kilometern Entfernung spüren konnte.
Präsident Luiz Inácio Lula da Silva meldete sich zu Wort — nicht wütend, aber mit dem Tonfall eines Mannes, der sagen möchte: „Junge, was soll das?“ Lula konterte, Merz habe offenkundig weder die Kultur, noch das Essen, noch die Atmosphäre der Stadt erfahren, und dass Berlin im Vergleich dazu „nicht mal zehn Prozent der Qualität“ biete. Eine Aussage, die humorvoll klingt — und gleichzeitig tiefer sticht als jedes Samba-Messer.
Während Lula rhetorisch elegant tanzte, blieb Merz völlig unbewegt — eine Art politisches Betonwerk im Anzug.
Der Regierungssprecher muss ran – und produziert Satire pur
Auf der nächsten Pressekonferenz in Berlin wurde Regierungssprecher Stefan Kornelius gefragt, ob Merz sich entschuldigen werde. Die Antwort war ein kleiner literarischer Moment:
„Nein.“
Und dann: Man habe sich nicht „angewidert“ geäußert. Nur ein wenig „hierarchisiert“.
Ironisch betrachtet ist das ein Satz, der in Lehrbüchern für Kommunikationskatastrophen einen Ehrenplatz bekommt. Eine „kleine Hierarchisierung“ zwischen Städten.
Als sei Diplomatie eine Art Schönheitswettbewerb:
- Deutschland: Platz 1 mit Sternchen
- Brasilien: hübsch, aber vielleicht etwas zu warm, zu weit weg, zu unkomfortabel
- Belém: solide Teilnahmeurkunde
Dass Kornelius wirklich sagte, es sei „nicht verwerflich“, wenn der Kanzler die Schönheit Deutschlands über die Brasiliens stelle, ist eine jener Aussagen, die man dreimal liest, um sicherzugehen, dass sie nicht aus einer Satirezeitschrift stammt.
Friedrich Merz – der Mann mit der rhetorischen Abrissbirne
Merz hat den Ruf, „gerne mal einen rauszuhauen“. Ein Ruf, den er zuverlässig pflegt.
Man erinnere sich nur an:
- die „kleinen Paschas“-Debatte,
- die „Stadtbildverschandelung“,
- die Nebenbemerkungen über gesellschaftliche Gruppen,
- und nun den „Belém-Kommentar“.
Ein Muster ist erkennbar: Merz hat ein Talent dafür, ausgerechnet dort sprachliche Nadelstiche zu setzen, wo diplomatische Politur gefragt wäre. Wie ein Chirurg, der statt Skalpell eine Axt benutzt, aber sagt: „Keine Sorge, ich hab’s im Griff.“
Dass er nun nicht daran denkt, sich zu entschuldigen, passt daher perfekt in sein Selbstbild. Er ist eben jemand, der sagt, was er denkt — und manchmal sogar noch mehr, als er denkt.
Deutschland, die Schönheit – ein objektiver Selbstvergleich
Die vielleicht skurrilste Komponente der ganzen Affäre ist, dass Merz eigentlich nur sagen wollte: Deutschland ist schön. Ein Satz, so politisch harmlos wie „Wasser ist nass“. Doch sobald man ihn in Beziehung zu einem anderen Land setzt — und dieses Land gleichzeitig Gastgeber einer Weltkonferenz ist — wird daraus ein Ranking, das niemand bestellt hat.
„Deutschland ist eines der schönsten Länder der Welt“, sagte Merz. Kornelius ergänzte: „Brasilien gehört sicherlich auch zu den schönsten.“
Sicherlich. Auch. Zu den schönsten.
Die Formulierung wirkte wie ein Lehrer, der einem Schüler sagt: „Dein Aufsatz war wirklich gut… neben den anderen sehr guten Aufsätzen.“
Nicht beleidigend — aber auch nicht hilfreich.
Warum das Ganze ein Problem ist
Im Kern geht es um drei Dinge:
Diplomatie verlangt Taktgefühl. Selbst wenn Wahlkampfmodus ist.
Brasilien ist ein strategisch wichtiges Land. Wer die Amazonasregion beleidigt, beleidigt einen globalen Klimaschlüssel.
Deutschland kann es sich nicht leisten, kulturelle Sensibilitäten zu übergehen. Schon gar nicht mit Blick auf internationale Konferenzen.
Merz hingegen wirkte, als sei er kurz im Tropenhaus gewesen und habe anschließend beschlossen, dass Wald doch besser sei, wenn er bayerisch ist.
Ein Blick nach vorn – oder zurück?
Dass Merz nicht zur Entschuldigung bereit ist, zeigt, wie tief die Regierung im Modus der „Wir haben nichts falsch gemacht“-Kommunikation steckt. Ein Modus, der bekanntlich selten deeskalierend wirkt.
Brasilien hingegen dürfte genau beobachten, wie Deutschland künftig auftritt. Die Affäre wird keine Krise auslösen, aber sie hat Spuren hinterlassen — rhetorische Spuren, wie sie nur ein Mann wie Merz hinterlassen kann: unbeabsichtigt, unnötig, ungeschickt.