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Politik

Das Salzuflen-Dilemma: Wie drei Stimmen ein Amt schufen – und 57 es beerdigten

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Das Salzuflen-Dilemma: Wie drei Stimmen ein Amt schufen – und 57 es beerdigten

Wenn Kommunalpolitik eines kann, dann ist es das: Sie schafft es, innerhalb weniger Tage eine komplette Stadtgesellschaft in Verwirrung, Verwunderung und gelegentlich in einen Zustand zu versetzen, der irgendwo zwischen politischem Kabarett, griechischer Tragödie und improvisiertem Theater liegt. Bad Salzuflen hat das gerade eindrucksvoll bewiesen.

Die AfD-Politikerin Sabine Reinknecht, zwei Wochen lang Vize-Bürgermeisterin im Kurort — und das vermutlich überraschtester als jede Blutdruckmessung im städtischen Thermalbad — wurde nun wieder abgewählt. Mit einem Ergebnis so eindeutig, dass selbst ein Taschenrechner anerkennend nicken würde.

Doch beginnen wir am Anfang. Der 5. November war ein Tag, an dem niemand im Rat erwartet hatte, dass er Geschichte schreiben würde. Schon gar nicht die Art von Geschichte, die man später den Enkelkindern erzählt mit den Worten: „Kinder, damals ist jemand fast aus Versehen Vize-Bürgermeister geworden…“

Geplant war eigentlich eine ganz bodenständige Postenverteilung: CDU, SPD und Grüne hatten sich verständigt — ein Dreiklang der kommunalen Harmonie. Die Grünen sollten eine ihrer Vertreterinnen als Vize-Bürgermeisterin stellen. Man war sich sicher. Man war sich einig. Man war vorbereitet. Nur eines hatte man unterschätzt: die berüchtigte Gefahr, dass geheime Abstimmungen gelegentlich das politische Äquivalent eines Überraschungseis darstellen.

In diesem Fall allerdings nicht mit Spielzeug, sondern mit Sabine Reinknecht.

Sie bekam 16 Stimmen. Die AfD hat 13 Sitze.

Das bedeutet, mathematisch betrachtet, dass drei Personen aus anderen Fraktionen — wie auch immer das passieren konnte — ihr Kreuz dort machten, wo sie es nicht machen wollten. Oder doch? Oder vielleicht? Oder möglicherweise aus Versehen? Oder in einem Moment der völligen geistigen Übermütigkeit?

Fakt ist: Niemand redet darüber. Und niemand erinnert sich.

Es blieb das große kommunale Mysterium von Bad Salzuflen, das inzwischen locker als Netflix-Miniserie taugen würde: „Verloren im Wahlzettel: Das Rätsel der drei Stimmen“.

Zwei Wochen lang war Reinknecht Vize-Bürgermeisterin. Zwei Wochen, in denen Medienberichte explodierten, Ortsvereine hektisch schrieben und man im Rathaus wahrscheinlich versuchte, gleichzeitig ruhig zu wirken und innerlich den Feuerlöscher zu betätigen.

Dann kam die Abwahl.

Der Antrag wurde von CDU, SPD, Grünen, USD, Linken und FDP eingebracht. 57 Ratsmitglieder unterschrieben ihn. 57 Ratsmitglieder stimmten dafür.

Diese Einheit, diese Präzision, diese demokratische Kante — man könnte fast meinen, die Demokratie hätte sich kurz erhoben, die Ärmel hochgekrempelt und gesagt: „Jetzt reicht’s aber wirklich.“

Die 13 Stimmen dagegen? Zufälligerweise exakt die Zahl der AfD-Fraktion. Damit ist klar: Die politische Welt ist wieder in Ordnung. Zumindest mathematisch.

Doch Reinknecht selbst sah das anders. Sie sprach von einem „Tag, an dem die Demokratie zu Grabe getragen wurde“. Eine Formulierung, die an Pathos kaum zu überbieten ist und klang, als müsse man jetzt Kerzen anzünden, die Kirchenglocken läuten lassen und eine Traueranzeige im Lokalblatt schalten.

Wahrscheinlich hätte sie sich ein schwarzes Tuch über die Schulter gelegt, wenn es zur Inszenierung gepasst hätte.

Ihr nächster Vorwurf: Man habe „gegen den Wählerwillen“ gehandelt. Was eine interessante Interpretation ist — denn die Wähler hatten nie darüber abgestimmt, wer Vize-Bürgermeister wird. Sie hatten darüber abgestimmt, wer im Rat sitzt. Und der Rat hat — zum Erstaunen aller — zunächst anders gewählt als geplant. Und dann — wenig überraschend — die Wahl korrigiert.

Man könnte sagen: Der Rat hat erst die Demokratie verwirrt und sie dann wieder aus dem Gebüsch zurückgeholt.

Die demokratische Funktionsweise der Gemeindeordnung NRW ist an dieser Stelle genial simpel: Wenn man jemanden zum stellvertretenden Bürgermeister wählt, kann man ihn wieder abwählen. Ohne Grund. Ohne Drama. Ohne Ausschuss. Ohne 200-seitiges Gutachten. Sogar geheim. Es braucht nur eine Zweidrittelmehrheit — und die war hier so locker erreicht, dass sie nicht einmal ins Schwitzen kam.

Dass Reinknecht diese Regel nun als demokratiefeindlich empfindet, hat eine gewisse Ironie. Denn es war dieselbe demokratische Regel, die sie überhaupt erst in das Amt gehoben hat.

Man könnte fast sagen:

  • Wäre die Demokratie nicht so frei gewesen, hätte sie nie 16 Stimmen bekommen.
  • Dass die Demokratie so frei ist, hat sie aber auch wieder 57 Stimmen gekostet.

In der Summe: Die Demokratie lebt — und wie! Vielleicht ist sie nur leicht verwirrt, weil sie zwei Wochen lang versehentlich in Bad Salzuflen im Spa war.

Politisch jedoch bleibt der Fall ein Lehrstück:

1. Geheime Abstimmungen erzeugen gelegentlich Monster, die niemand gewollt hat.

Eine Art politisches Frankenstein-Prinzip.

2. Wahlpannen in Kommunalparlamenten sind nicht selten.

Sie sind nur meistens nicht so spektakulär.

3. Die AfD versteht es, jeden Vorgang in einen Demokratie-Abgesang umzudeuten.

Selbst dann, wenn die Regel, die man kritisiert, gerade einem selbst genutzt hat.

4. Der Rest des Rates versteht es, geschlossen aufzutreten — wenn er peinlicherweise zusammen Fehler gemacht hat.

Ein bemerkenswertes Phänomen, das man in anderen politischen Bereichen dringend reproduzieren sollte.

5. Das Rätsel der drei Stimmen bleibt ungelöst.

Und Bad Salzuflen hat damit ein neues lokales Mysterium. Neben der Frage, warum Kurorte immer so viele Parkscheinautomaten haben.

Schlussendlich bleibt ein politisches Schauspiel, das so bunt ist wie die Sole-Nebelkammer der Stadt — und mindestens genauso überraschend.