Satiressum – Satire. Scharf. Subversiv.
Veröffentlicht am
Politik

"Weggeschaut wird hier vom Staat!" – Putins Russland sagt: Wahlbeobachtung war gestern

Autor
"Weggeschaut wird hier vom Staat!" – Putins Russland sagt: Wahlbeobachtung war gestern

Moskau, das gläserne Reich der Transparenz – nur ohne Glas.

25 Jahre lang hat sich die Organisation Golos erlaubt, das Undenkbare zu tun: bei russischen Wahlen hinzuschauen. Ein unverzeihlicher Affront gegen alles, woran Präsident Wladimir „Ich bin die Urne“ Putin glaubt: absolute Mehrheit durch absolute Kontrolle – und bitte ohne lästige Zeugen.

Doch jetzt ist Schluss. Aus. Vorbei. Golos – was auf Deutsch bezeichnenderweise „Stimme“ heißt – verstummt. Und damit ist endlich wieder Ruhe im Wahlzirkus, in dem die Clowns regieren und das Publikum keine Wahl hat.

Wahlbeobachtung? In Russland so überflüssig wie eine Ampel in der Wüste

Grigori Melkonjanz, oberster Stimmenzähler und Demokrat mit krimineller Energie, wurde nun zu fünf Jahren Demokratie-Detox im Straflager verurteilt. Sein Vergehen? Mitarbeit bei einer ausländischen Organisation, also quasi NATO mit Brille.

Er soll mit Enemo kooperiert haben – einem Netzwerk von Wahlbeobachtern, die nicht einmal russisch fluchen können. Klarer Fall von Spionage! Wer in Russland Wahlergebnisse beobachtet, statt sie zu erschaffen, ist eine Bedrohung für die nationale Stabilität.

Denn: Nur wer nicht zählt, zählt.

Golos: Von der Stimme zur Schweigepflicht

Mit der Verurteilung Melkonjanz’ zieht sich Golos komplett zurück. Die Begründung: Man wolle die eigene Community nicht „der Gefahr von Strafverfolgung“ aussetzen. Eine sehr weise Entscheidung – denn in Russland braucht man nicht viel, um verfolgt zu werden. Ein Like reicht. Oder ein falsch angeschautes Wahllokal.

Golos empfiehlt sogar, alte Beiträge von deren Website zu löschen. Man wünscht sich fast, die Organisation hätte gleich auch die Wahlen gelöscht – das hätte dem System viel Bürokratie erspart.

Putin: „Wahlen? Läuft bei mir!“

Wladimir Putin, Russlands einziger echter Dauerwahlgewinner seit dem Zarenreich, zeigt sich unbeeindruckt. Demokratische Kontrolle sei eine westliche Dekadenz, so der Präsident, der seit 20 Jahren mehr Stimmen einsammelt als der Papst Gebete.

Gerade bei schwierigen Wahlausgängen – wenn zum Beispiel „nur“ 87 % Zustimmung gezählt wurden – helfen eben keine Wahlbeobachter, sondern Fenster im dritten Stock, schwer erklärbare Jagdunfälle oder spontane Selbstanzündungen bei Gasmanagern.

Suche nach Wahrheit endet in Untersuchungshaft

Russland liebt Geschichten. Besonders die, bei denen am Ende jemand stürzt, verschwindet oder beim Baden in Hahnenblut verstirbt. Warum sollte man also bei Wahlen auf die Wahrheit setzen, wenn sich ein gutes Drehbuch viel besser kontrollieren lässt?

Denn in Putins Russland gilt: Wahlen sind wie Theaterstücke – das Skript ist fertig, der Regisseur unfehlbar, und Zwischenapplaus ist nicht vorgesehen.

Zum Abschied eine letzte Stimme

Golos verabschiedet sich mit den Worten: „Gerechtigkeit siegt nicht immer – man muss dafür kämpfen. Und es besteht immer das Risiko, zu verlieren.“

Man könnte ergänzen: In Russland ist das Verlieren allerdings Pflicht. Besonders, wenn man gegen den Kreml spielt.