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Birsfelden – das Dorf, das Autofahrer nicht gehen, sondern bleiben lässt

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Birsfelden – das Dorf, das Autofahrer nicht gehen, sondern bleiben lässt

Birsfelden (Schweiz) – Willkommen im wahrscheinlich ersten Ort Europas, in dem Nicht-Stehenbleiben teurer ist als Falschparken. Die kleine Schweizer Gemeinde hat es geschafft, die Verkehrslenkung neu zu erfinden – und zwar als finanzielles Fitnessprogramm für die Gemeindekasse. Seit September gilt dort: Wer weniger als 15 Minuten bleibt, zahlt 100 Franken Strafe.

Anders gesagt: Wer nur kurz durchfährt, macht sich strafbar – wer im Stau steht, ist ein gesetzestreuer Bürger.

Das Prinzip Birsfelden: Fahr langsam, zahl schneller

Die Idee klingt nach einer dieser typischen Schweizer Innovationen, die irgendwo zwischen Präzisionsuhr und Käsefondue entstanden sind: Die Gemeinde wollte den Ausweichverkehr stoppen – also jene Autofahrer, die lieber durch den Ort huschen, um die Autobahn zu umgehen.

Dazu hat man ein einfaches, aber geniales System eingeführt: Kameras an den Ortseinfahrten erfassen das Kennzeichen beim Rein- und Rausfahren. Vergeht zwischen beiden Zeitpunkten weniger als 15 Minuten, flattert ein freundlicher Bußgeldbescheid über 100 Franken ins Haus.

In Birsfelden darf man sich gern Zeit lassen – aber bitte mit Absicht. Wer zu pünktlich ist, zahlt.

Von 15 Verstößen zu 1000 am Tag – das System, das sich selbst übertrifft

Die Gemeinde hatte bescheiden mit rund 15 Verstößen täglich gerechnet. Doch die Realität zeigte sich großzügiger: Rund 1000 Verstöße pro Tag, das sind 100.000 Franken Bußgeld täglich. Damit verdient Birsfelden an einem Tag mehr, als so manche Schweizer Uhrenfabrik in einer Woche.

Der Bürgermeister betont natürlich, es gehe nicht um das Geld, sondern um „Sicherheit und Lebensqualität“. Ein Satz, der in Europa meist kurz vor der Einführung einer neuen Steuer fällt.

Wer bremst, hat Recht

Kritiker nennen das Ganze „Schikane“ oder „Abzocke“. Die Gemeinde sieht es anders: Wer sich im Ort aufhält, konsumiert – wer nur durchrast, stört. Das Prinzip könnte Schule machen: Bald vielleicht auch Gebühren für zu schnelles Gehen in Fußgängerzonen („Sie haben sich weniger als 5 Minuten in der Altstadt aufgehalten – bitte 50 Euro Kulturpauschale zahlen“) oder für kurzzeitige Internetbesuche („Sie haben diese Website zu schnell verlassen – das verletzt unsere Aufmerksamkeitssatzung“).

In Birsfelden jedenfalls gilt jetzt das Motto: Wer rast, zahlt – wer bleibt, spart.

Die Navigationssysteme sind schuld – natürlich

Ein echtes Problem bleibt: Die Navigationsgeräte. Diese sturen elektronischen Wegweiser leiten Autofahrer weiter munter durch das Dorf, als hätten sie keine Ahnung von schweizerischer Verkehrsfeinmechanik.

Das führt zu einer grotesken Situation: Menschen, die einfach nur Google Maps folgen, werden zu unfreiwilligen Kleinkriminellen. Die Gemeinde gelobt Besserung – man wolle mit den Navigationsanbietern sprechen. Das dürfte spannend werden: „Hallo Google, wir hätten da eine Gemeinde, die möchte bitte aus Ihrer Karte gelöscht werden.“

Die Schweizer Lösung: Bürokratie mit Herz (und Rechnung)

Das Konzept ist so schweizerisch, dass es eigentlich schon Kunst ist. In Deutschland hätte man jahrelang geprüft, evaluiert und dann doch nichts beschlossen. In Birsfelden dagegen hat man einfach gehandelt – und jetzt klingelt die Kasse, während man die Maßnahme „evaluiert“.

Die Bürger scheinen zwiegespalten: Einige loben die Ruhe, andere fluchen, dass sie jetzt zum Brötchenholen einen Parkschein und eine Stoppuhr brauchen. Und natürlich beteuert die Gemeinde: Es gehe nicht um Geld. Wäre das wahr, hätte man wohl kaum Kameras installiert, die 100.000 Franken pro Tag ausspucken wie ein politischer Geldautomat mit Ortswappen.

Ein Modell mit Zukunft?

In einer Zeit, in der andere Städte über Tempolimits, Umweltzonen oder Parkraumbewirtschaftung streiten, hat Birsfelden einfach das Verweilen zur Bürgerpflicht erklärt. Vielleicht ist das die Zukunft Europas: Städte, in denen man nicht zu schnell fahren darf, nicht zu kurz bleibt und am besten gar nichts tut – außer konsumieren und bezahlen.

So wird aus dem Straßendorf ein Miniaturstaat zwischen Parkuhr und Präzisionsbürokratie – mit einer klaren Botschaft an alle Durchreisenden: „Willkommen in Birsfelden. Sie müssen nicht bleiben. Aber Sie sollten.“