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Operation Windy City – Trumps Sturm auf Chicago
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Chicago. Wo andere Politiker auf Dialog setzen, setzt Donald Trump auf Durchmarsch. 300 Soldaten der Nationalgarde rollen gen Westen, um in der „Hauptstadt des Verbrechens“ für Ruhe zu sorgen – oder zumindest für Schlagzeilen. „Präsident Trump wird nicht die Augen verschließen vor der Gesetzlosigkeit, die amerikanische Städte heimsucht“, verkündete Sprecherin Abigail Jackson in einem Ton, der irgendwo zwischen apokalyptischer Netflix-Serie und Staatsfunk schwankte.
Klingt heroisch – wäre da nicht die kleine Fußnote, dass die meisten Städte, die Trump als „gesetzlos“ bezeichnet, auffällig viele Demokraten wählen. Es ist, als würde jemand behaupten, das Feuer brenne nur in Häusern, in denen CNN läuft.
Vom Präsidenten zum Sheriff der Nation
Trump hat sich längst vom Staatsoberhaupt zum selbsternannten Sheriff befördert. „Make National Guard Great Again!“ scheint die geheime Parole zu sein, während er in den Morgenstunden seine Einsatzpläne twittert wie andere Leute ihre Einkaufslisten.
In Trumps Amerika wird die Nationalgarde nicht mehr nur bei Naturkatastrophen eingesetzt – sie ist die Naturkatastrophe. Wo früher Tornados wüteten, marschieren heute Männer in Tarnuniformen. Ihr Auftrag: „Beamte und Güter des Bundes schützen“. Klingt nach Amtshilfe, sieht aber verdächtig nach Wahlkampfkulisse aus.
Chicago soll also „befreit“ werden – von wem eigentlich? Von Kriminellen, Linken, Migranten? Oder schlicht von der Illusion, dass Föderalismus noch etwas bedeutet?
Portland widersetzt sich – mit Paragrafen statt Panzer
Während in Illinois schon die Motoren der Truppentransporter dröhnen, hat ein Gericht in Portland die Notbremse gezogen. Bundesrichterin Karin J. Immergut erklärte, dass die Proteste dort keine „Aufruhrgefahr“ darstellten. Übersetzt: Herr Präsident, Ihre Realität hat leider keine Rechtsgrundlage.
Ihre Entscheidung gilt bis zum 18. Oktober – was in Trump-Zeitrechnung ungefähr eine halbe Pressekonferenz lang ist. Danach dürfte die nächste Eskalationsstufe folgen: Vielleicht werden dann Richter einfach durch Drohnen ersetzt, „weil die objektiver sind“.
Trump hatte Portland zuvor als „vom Krieg zerstörte Stadt“ bezeichnet – vermutlich, weil er eine Graffitiwand gesehen hat. Für ihn ist schon eine bunt bemalte Bushaltestelle ein Angriff auf die nationale Sicherheit. Wenn Kunst stört, schickt man halt Panzer.
Nationalgarde: Jetzt auch mit Innenausstattung für Empörung
Früher rückte die Nationalgarde bei Überschwemmungen aus, heute bei Meinungsfluten. Früher half sie nach Tornados, heute nach Tweets. Die Nationalgarde ist unter Trump zu einem Allzweckwerkzeug geworden: politisches Pflaster, Drohkulisse und patriotisches Deko-Element in einem.
Denn eines hat der Präsident verstanden: Nichts sieht so stark nach Führungsstärke aus wie 300 Männer in Uniform, die gleichzeitig salutieren. Es ist Reality-TV mit Steuergeldern – Staffel 4 von America’s Got Guards. Nur dass diesmal keine Rose verteilt wird, sondern Tränengas.
Wenn der Präsident Polizei spielt
Offiziell geht es darum, „Bundesgüter“ zu schützen. Inoffiziell darum, Macht zu demonstrieren. Denn in Trumps politischem Drehbuch ist jeder Gouverneur, der „Nein“ sagt, automatisch ein Komplize der Anarchie. Föderalismus gilt nur, solange die Staaten das tun, was der Mann in Washington will.
Ein Gouverneur, der widerspricht, wird zur nationalen Bedrohung. Eine Richterin, die Grenzen zieht, wird zum Feind des Volkes. Und wer die Nationalgarde in Frage stellt, ist vermutlich Mitglied der Antifa, der WHO oder – schlimmer noch – CNN+.
Dass Chicago unter demokratischer Führung steht, ist dabei kein Zufall, sondern dramaturgische Notwendigkeit. Schließlich braucht jedes gute Drehbuch einen klaren Antagonisten. In Trumps Kopf heißt der Antagonist: alles links von Fox News.
Wahlkampf mit Bajonett und Blaulicht
Die Einsätze sind mehr als nur Sicherheitsmaßnahmen – sie sind Teil eines politischen Feuerwerks. Während andere Präsidenten für ihre Wiederwahl Infrastrukturprogramme oder Steuerreformen ankündigen, kündigt Trump lieber Truppen an.
Er hat Los Angeles bereits „beruhigt“, Washington „stabilisiert“ und Portland „inspiriert“ – letzteres allerdings nur juristisch zum Widerstand. Jetzt also Chicago. Wenn das so weitergeht, wird bald jede Stadt mit einem demokratischen Bürgermeister einen eigenen Standort der Nationalgarde haben. America first, Demokratie second.
Und während 300 Soldaten in Chicago aufmarschieren, läuft im Hintergrund schon der Soundtrack: Marschmusik gemischt mit Fox-News-Overvoice – „Breaking News: Präsident stellt Ordnung wieder her“.
Und was, wenn die Ordnung gar nicht gebrochen war?
Nun ja – dann ist sie es spätestens jetzt. Denn die Vorstellung, dass sich ein Präsident mit Truppen im eigenen Land „Ordnung schafft“, klingt selbst in Amerika verdächtig nach einem Drehbuch, das schon mehrfach verfilmt wurde – und nie gut ausging.
Richterin Immergut hat es diplomatischer formuliert: Die regulären Strafverfolgungsbehörden seien „in der Lage, damit fertig zu werden“. Oder in normalem Englisch: Danke, wir haben Polizei. Sie brauchen Ihre Armee nicht hier.
Aber Trump wäre nicht Trump, wenn er das als Sieg der Vernunft sähe. In seinem Weltbild ist jedes Stopp-Schild eine persönliche Beleidigung, und jeder Gerichtsbeschluss ein Vorschlag zur Abschaffung Amerikas.
Der Präsident als Brandbekämpfer mit Benzinkanister
So bleibt das Bild eines Präsidenten, der überall Feuer sieht – und sicherheitshalber selbst eins anzündet, um es besser zu erkennen.
Chicago steht damit sinnbildlich für Trumps Regierungsstil: Laut, militärisch, kameragerecht. Und während die Nationalgarde marschiert, applaudiert der Präsident sich selbst – schließlich hat er mal wieder bewiesen, dass er das Land beschützen kann.
Vor wem? Vor sich selbst, hoffentlich bald.