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„Bürgergeld reloaded“ – Wie Friedrich Merz den Sozialstaat zur Fitnesskur macht

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„Bürgergeld reloaded“ – Wie Friedrich Merz den Sozialstaat zur Fitnesskur macht

Berlin. Der Sozialstaat hat eine neue Leitlinie, und sie lautet: „Wer faul ist, fliegt.“ So oder so ähnlich könnte man das neue Reformpaket von Kanzler Friedrich Merz und seiner „Koalition der pädagogischen Konsequenz“ zusammenfassen. Nach wochenlangen Beratungen, Kaffee, Krisensitzungen und vermutlich einer ordentlichen Dosis Business-Class-Sauerstoff hat sich die große Koalition – Union und SPD – auf die Verschärfung des Bürgergelds geeinigt.

Es ist eine Reform, die laut Merz „im Interesse der Betroffenen“ steht. Und das stimmt sogar – nur ist der Betroffene in diesem Fall wohl der Bundeshaushalt.

Der Merz’sche Sozialstaat – Hilfe zur Selbstverantwortung, aber bitte mit Strafkatalog

Die neue Regelung sieht vor: Wer wiederholt Termine im Jobcenter nicht wahrnimmt, verliert alle Leistungen. Nicht ein bisschen, nicht temporär, nein – komplett. Null Euro. Null Unterkunft. Null Mitleid.

Oder, wie Friedrich Merz es im ARD-Interview formulierte:

„Wer sich monatelang nicht meldet, obwohl wir ihn anrufen, anschreiben, fast schon anbetteln – von dem müssen wir doch ausgehen, dass er keine Hilfe braucht.“

Ein Satz, der klingt, als wäre der Sozialstaat nicht mehr Partner, sondern Exfreund – beleidigt, misstrauisch und kurz davor, das Netflix-Passwort zu ändern.

Vom Bürger zum Verdachtsfall

Das Bürgergeld – ohnehin ein Begriff, der den Konservativen stets wie ein linkes Fiebertraum-Vokabular erschien – heißt künftig wieder Grundsicherung. Denn im neuen Deutschland ist man nicht Bürger mit Rechten, sondern Grundfall mit Auflagen.

Damit ist klar: Sprache bleibt Politik, und Politik bleibt deutsche Grammatik. Das alte Bürgergeld klang nach Würde, nach Teilhabe, nach sozialem Vertrauen. Die Grundsicherung klingt dagegen nach: „Hier, nimm, aber beschwer dich nicht.“

Merz betont, das Gesetz richte sich nur gegen „die, die gar nicht mitwirken“. Also ungefähr gegen jene, die sich bereits völlig aufgegeben haben. Aber was wäre Deutschland ohne die Fähigkeit, auf die Schwächsten mit moralischer Energie zu zielen?

SPD: Schockstarre zwischen Sozialgeschichte und Stockholm-Syndrom

Während Merz die Reform stolz vorstellt, sitzt die SPD daneben und lächelt – so, wie man lächelt, wenn man bei einer Eheberatung nickt, aber innerlich weiß, dass man längst verloren hat.

Die Jusos sind empört. Ihr Vorsitzender Philipp Türmer warnt, die Regierung steuere „sehenden Auges auf eine Klatsche vor dem Bundesverfassungsgericht zu“. Die SPD-Fraktion hingegen nickt höflich und murmelt etwas von „sozialer Balance“.

„Es ist nicht der zentrale Hebel“, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede, und man fragt sich: Was ist eigentlich der zentrale Hebel, wenn nicht der, mit dem man Menschen aus der Existenz wirft?

Man hat fast Mitleid mit der SPD. Sie will das Gute, redet wie eine Sozialarbeiterin – und unterschreibt dann die Hausordnung der Internatsleitung.

Merz, der eiserne Sozialtherapeut

Friedrich Merz ist kein Unmensch, sagen seine Anhänger – nur ein konsequenter Pädagoge. Er sieht den Sozialstaat als Schule, in der Sanktionen Erziehungsmittel sind. Wer nicht kommt, bekommt eine 6 in „Teilnahme“, und wer wiederholt schwänzt, wird exmatrikuliert.

„Wir wollen Anreize schaffen, wieder zu arbeiten“, sagt Merz.

Natürlich! Anreize. Nichts motiviert zur Jobsuche so sehr wie der Gedanke, bald kein Bett mehr zu haben. Sozialpsychologen nennen das „negative Verstärkung“. Friedrich Merz nennt es „marktwirtschaftliche Pädagogik“.

Dass das Bundesverfassungsgericht 2019 bereits entschieden hat, dass zu harte Sanktionen gegen die Menschenwürde verstoßen, ist für Merz offenbar kein Problem. Er sagt einfach:

„Das Gericht hat uns gar nicht so enge Grenzen gesetzt, wie viele behaupten.“

Das ist juristisch in etwa so elegant wie: „Ich habe keine Geschwindigkeitsbegrenzung gesehen, also galt sie wohl nicht.“

Sozialverbände: Von der Realität erschlagen

Der Paritätische Gesamtverband nennt die Reform ein „unsoziales Misstrauensvotum gegen Arbeitsuchende“. Die Diakonie warnt vor verfestigter Armut. Doch in Berlin heißt es nun: „Man kann Armut nicht bekämpfen, indem man sie finanziert.“

Ein Satz, der so zynisch klingt, dass man ihn fast schon auf ein CDU-Wahlplakat drucken könnte – natürlich in Großbuchstaben mit einem patriotischen Blauton.

Denn Deutschland liebt seine Widersprüche. Man ruft „Leistung muss sich lohnen!“ und wundert sich, dass keiner mehr leisten will, wenn die Belohnung aus Bürokratie, Demütigung und Sanktionen besteht.

Das Jobcenter als moralische Waschstraße

Im neuen System wird das Jobcenter zum Ort der Läuterung. Hier lernt man Pünktlichkeit, Gehorsam und innere Disziplin – kurz: alles, was man braucht, um später wieder von demselben System ausgebeutet zu werden.

Die Sachbearbeiterin wird zum Sozialpädagogen mit Strafzettelkompetenz, und das Beratungsgespräch zum Beichtstuhl. Nur dass hier kein „Vater unser“ folgt, sondern ein „Antrag abgelehnt“.

Der Sozialstaat als Fitnessstudio der Disziplin

Man könnte sagen, Friedrich Merz hat den Sozialstaat neu erfunden – als Bootcamp für Eigenverantwortung. Wer durchhält, darf am Ende vielleicht sogar arbeiten. Wer scheitert, hat immerhin Charakterstärke bewiesen – und wird posthum in der Haushaltsbilanz als Einsparung verbucht.

Sozialpolitik nach Merz ist wie Intervallfasten: Ein bisschen Entzug für den Geist, ein bisschen Leiden für den Charakter – und am Ende klopft man sich auf die Schulter, weil man „etwas durchgezogen“ hat.

Deutschland, deine Disziplin

Friedrich Merz will mit dieser Reform „Verantwortung“ zurück in die Gesellschaft bringen – und schafft stattdessen ein Klima, in dem Armut wieder als moralisches Versagen gilt. Der Sozialstaat, einst als Schutzraum gedacht, wird zum Erziehungsheim. Und die Politik nennt das: Fortschritt.

Vielleicht hat Friedrich Merz sogar recht: Niemand wird obdachlos. Denn wer nach all den Sanktionen, Formularen und Sanktionen noch im System bleibt, der wohnt längst im Herzen der Bürokratie – unter Paragrafen, mit Pflichtbewusstsein als Decke und Misstrauen als Kopfkissen.

Deutschland – wo man Menschen hilft, indem man ihnen erst mal zeigt, wie weh Hilfe tun kann.