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Deutschland würfelt zurück – Die neue Wehrpflicht zwischen Excel-Tabelle, Schicksal und Schützenfest

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Deutschland würfelt zurück – Die neue Wehrpflicht zwischen Excel-Tabelle, Schicksal und Schützenfest

Berlin, Herbst 2025. Deutschland hat wieder ein Herz für Uniformen. Zumindest die Bundesregierung, die nach Jahren pazifistischer Lähmung plötzlich entdeckt hat, dass man ein Land nicht mit Fridays-for-Future-Demos verteidigen kann. Also muss Nachwuchs her – 80.000 junge Menschen, frisch gebügelt, tauglich und am besten mit Sinn für Disziplin. Was früher ein romantischer Flirt mit dem Vaterland war („Willst du dienen?“ – „Nein.“ – „Dann halt Zivildienst.“), ist jetzt ein bürokratischer Akt, so sinnlich wie ein Finanzamtstermin.

Verteidigungsminister Boris Pistorius, der als „Mann fürs Grobe“ gilt, will endlich wieder Schwung in die Truppe bringen. Er träumt von einer Armee, die sich nicht nur aus Reservisten und Bewerbern zusammensetzt, die „aus Versehen“ die falsche Karriereberatung angeklickt haben. Deshalb schlägt er die „Aktivierung des Wehrdienstes light“ vor – und plötzlich liegt über Deutschland ein Hauch von 1983, nur mit PowerPoint-Präsentationen.

Ein Land, ein Los, ein Schicksal

Kern der neuen Idee: Das Losverfahren. Wer gezogen wird, darf dienen. Wer nicht gezogen wird, hat Glück – oder eben keinen Sinn fürs Vaterland. Das ist moderne Wehrgerechtigkeit in der Post-Ironie-Ära: Gleichheit durch Zufall. Solidarität durch Schicksal. Und Gerechtigkeit nach dem Motto: „Hauptsache, der Computer zieht keinen Politiker.“

Die CDU nennt das „fair“, die SPD nennt es „problematisch“, die Grünen nennen es „verfassungsrechtlich bedenklich“, und die Linke nennt es – wie immer – „Faschismus light“. So weit, so erwartbar.

Aber Verteidigungsminister Pistorius bleibt gelassen: „Das Losverfahren ist keine Willkür“, erklärt er, „sondern die logische Fortsetzung der Demokratie mit militärischen Mitteln.“ Ein Satz, der klingt, als hätte Kafka beim Bundeswehr-Podcast mitgeschrieben.

Juristen wie Udo Di Fabio verteidigen die Idee. Der ehemalige Verfassungsrichter sieht kein Problem: „Der Zufall ist ja gerecht, weil er für alle gleich ist.“ Ein Satz, der vermutlich in die Geschichte eingehen wird – gleich neben „Ich hab nur Befehle befolgt“ und „Das war technisch nicht möglich“.

Andere Juristen schütteln den Kopf. Professorin Karin Groh von der Bundeswehr-Uni München sagt, das sei verfassungswidrig. Man könne Grundrechte nicht auslosen wie Sitzplätze im Schulbus. „Hier entscheidet der Zufall und nicht ein sachlicher Grund“, warnt sie. Aber das ist ja der Witz: In Deutschland entscheidet seit Jahren der Zufall, wer Kanzler wird, wer die Bahn leitet – und wer in Talkshows eingeladen wird.

Die Musterung 2.0 – Bürokratie marschiert

Wer glaubt, dass das Ganze einfach wird, unterschätzt die deutsche Bürokratie. Jeder Mann ab Jahrgang 2008 muss eine Bereitschaftserklärung ausfüllen. Online, versteht sich. Mit Angaben zu Größe, Gewicht, Bildungsstand und – man höre und staune – „Motivationslage“. Ein digitales Formular, das klingt wie Tinder für die Truppe: „Ich bin sportlich, teamfähig, bewaffnet – swipe right for duty.“

Nach der Erfassung folgt die Musterung. Nicht mehr in der Kaserne mit kalten Händen und alten Ärzten, sondern per App – vielleicht mit Gesichtserkennung, Blutdrucksensor und Quizfragen zur NATO. Und falls es nicht genug Freiwillige gibt? Dann entscheidet – Trommelwirbel – das Los. Ein Algorithmus im Verteidigungsministerium wird den Job übernehmen. Natürlich nur mit TÜV-Zertifikat und Ethikleitfaden.

Man stelle sich das vor: Ein 18-Jähriger in Buxtehude öffnet morgens seine E-Mails und liest: „Herzlichen Glückwunsch! Sie wurden ausgelost! Bitte melden Sie sich zum Waffendienst.“ Nebenan der Kumpel: „Sie hatten Pech. Viel Spaß im Zivilleben.“ Das ist Gleichheit auf deutschem Niveau – digital, emotionslos, formal korrekt.

SPD vs. Union – Liebe im Schützengraben der Koalition

Doch der Streit um die neue Wehrpflicht hat die Ampel und die Union wieder einmal zum Explodieren gebracht – ein bürokratisches Inferno aus Eitelkeit, Presseerklärungen und beleidigten Rückrufen.

Die SPD wollte Freiwilligkeit. Die CDU wollte Verbindlichkeit. Die CSU wollte – Überraschung – noch mehr Pflicht. Und irgendwo dazwischen stand Pistorius, der nur eines wollte: Ruhe im Kasernenhof.

Eine Pressekonferenz, die das neue Modell erklären sollte, wurde kurzerhand abgesagt. Warum? Weil niemand mehr durchblickte. Der eine wollte ziehen, der andere losen, der dritte erstmal prüfen, ob der Zufall mit der Verfassung vereinbar ist. Und so platzte die Präsentation wie ein schlecht gefaltetes Zelt im Manöverregen.

Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen warf Pistorius vor, er habe den Kompromiss „torpediert“. Pistorius konterte: „Ich bin nicht destruktiv.“ Ein Satz, der in Berlin selten so falsch klang.

Die Grünen fanden das ganze Schauspiel „amateurhaft“. Ihre Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte: „Die Bundeswehr ist doch keine Losbude.“ Worauf CDU-Generalsekretär Linnemann trocken antwortete: „Aber warum eigentlich nicht?“ Eine Frage, die in jedem Karnevalszug der Zukunft zu hören sein wird, wenn die Bundeswehr wieder Nachwuchs sucht.

Freiwillig unter Zwang – Das neue deutsche Prinzip

Die Bundesregierung nennt das Konzept „Freiwilligkeit mit Struktur“. Ein Satz, der so klingt, als hätte er in einem Workshop für „Verwaltungskommunikation mit Gefühl“ überlebt. Merz selbst sprach von einer „patriotischen Erneuerung der Zivilgesellschaft“. Man müsse „Verantwortung lehren“. Was übersetzt heißt: „Die Alten gehen in Rente, jetzt müssen die Jungen wieder was tun.“

Dabei steht längst fest: Für die 80.000 Soldaten fehlen nicht nur Menschen, sondern auch Kasernen, Fahrzeuge, Ausrüstung, Strategie, Logistik, Motivation und WLAN. Kurz gesagt: alles außer PowerPoint-Folien.

Wehrgerechtigkeit oder Wehrabsurdität?

Verfassungsrechtlich bleibt der Plan eine tickende Zeitbombe. Das Bundesverwaltungsgericht hatte schon 2005 festgestellt: Wenn nur ein kleiner Teil der Bevölkerung zum Dienst verpflichtet wird, müsse das „sachlich begründet“ sein. Sonst sei das Ganze willkürlich – und damit verfassungswidrig.

Das Losverfahren soll dieses Problem umgehen. Denn, so die brillante Logik: Wenn alle gleich zufällig betroffen sind, ist es wieder gerecht. Ein Meisterstück deutscher Rechtsphilosophie – irgendwo zwischen Kant und Glücksspielgesetz.

Die Jugend: „Was, Bundeswehr? Ich dachte, das ist ein Meme.“

Während Politiker über Grundrechte, Gerechtigkeit und NATO-Fähigkeit streiten, weiß die Generation Z gar nicht so recht, worum es geht. Auf TikTok trendet der Hashtag #Wehrlos2026, unterlegt mit Marschmusik und ironischen Untertiteln wie: „Ich wollte eigentlich Influencer werden, jetzt bin ich Panzerfahrer.“

Andere fragen, ob es wenigstens vegane Mahlzeiten in der Kaserne gibt. Oder WLAN. Oder Influencer-Partnerschaften mit Outdoor-Marken.

Die Bundesregierung hat reagiert und will eine „Charmeoffensive“ starten: Mehr Sold, kostenlose Führerscheine, soziale Medien mit Humor. Ein General soll sogar vorgeschlagen haben, die Bundeswehr als „Start-up mit Tradition“ zu bewerben. Nur ohne Aktienoptionen. Und ohne Internet.


Wenn der Staat würfelt, lachen die Götter

Deutschland steht am Rande einer historischen Entscheidung: Soll man junge Menschen per Zufall zum Dienst verpflichten – oder sie lieber gleich alle zum Podcast über Bürgerpflichten verdonnern?

Das Land, das sich einst durch Pflichtbewusstsein, Organisation und Ernsthaftigkeit definierte, hat nun einen Plan, der klingt wie eine Satire auf sich selbst.

Die einen sprechen von „Wehrgerechtigkeit“. Die anderen von „organisierter Willkür“. Und die meisten einfach von „typisch Deutschland“.

Am Ende wird das Los entscheiden – nicht nur über den Wehrdienst, sondern über den Zustand eines Landes, das den Ernstfall nur noch simulieren kann.

Oder, wie ein Jugendlicher es auf Reddit zusammenfasste:

„Ich hab Mathe abgewählt, jetzt entscheidet Statistik über mein Leben.“

Willkommen in der Bundeswehr der Zufälle – wo Demokratie und Würfelglück endlich Hand in Hand marschieren.