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Die Wurst, die sich nicht mehr Wurst nennen durfte – Europas größter Kampf seit dem Gurkenkrümmungsparagraphen
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Brüssel. In den ehrwürdigen Hallen der europäischen Demokratie, wo sonst über Krieg, Frieden und Klimaneutralität entschieden wird, tobt ein Kampf epischen Ausmaßes: Darf ein vegetarisches Schnitzel noch „Schnitzel“ heißen? Oder müssen Millionen von Europäern künftig mit Begriffen wie „pflanzlich texturiertes Gaumenfladenstück mit Sojaunterton“ leben?
Es ist der Kulturkampf unserer Zeit – Fleisch gegen Pflanzen, Schwein gegen Soja, Tradition gegen Textur.
Die Revolution aus der Wurstmaschine
Alles begann vor zehn Jahren, als in Bad Zwischenahn ein Traditionsunternehmen beschloss, das Unvorstellbare zu tun: Wurst ohne Tier. Rügenwalder Mühle – einst Heimat ehrlicher Schinkenromantik – warf ihre Fleischwolf-Philosophie über Bord und ließ Erbsen, Soja und Weizeneiweiß durchdrehen.
Produktentwicklerin Katrin Gros erinnert sich:
„Am Anfang sah es aus wie Kirschjoghurt.“
Ein Satz, der klingt, als habe Kafka eine Kochshow moderiert. Eigentlich sollte es Teewurst werden, aber es wurde – nach einer göttlichen Eingebung im Kühlraum – Leberwurst. Zufallsprodukte, so erzählt man sich in Bad Zwischenahn, sind dort seither eine Tugend.
Und tatsächlich: Was als Experiment begann, wurde zum Massentrend. Aus drei Tonnen pro Woche wurden hundert. Aus Fleischern wurden Pflanzenflüsterer.
Aus dem Schinken-Spicker wurde der Schinken-Spicker ohne Schinken – ein Triumph der deutschen Ingenieurskunst über das Tierreich.
Brüssel: Der große Wurstkrieg beginnt
Doch während die Rügenwalder Mühle fröhlich Erbsen pürierte, rührte sich in Brüssel der Widerstand. Eine Allianz aus Rechtsaußen-Fraktionen und konservativen Fleischfreunden erklärte den Veggie-Produkten den Krieg – mit der heiligen Mission, „den guten Namen der Wurst zu schützen“.
Der Vorwurf: Verbrauchertäuschung. Man müsse die Bürger vor der fatalen Gefahr bewahren, aus Versehen ein Tofu-Schnitzel zu verzehren und anschließend in eine Identitätskrise zu stürzen.
EVP-Abgeordnete Céline Imart warnte feierlich vor „Verwechslungsgefahr“. Klar – wer kennt es nicht: Man greift in der Hektik des Supermarkts zu einer „veganen Bratwurst“, beißt hinein, erwartet eine Schweineschulter – und steht plötzlich im philosophischen Niemandsland zwischen Linsen und Gluten.
Die Brüsseler Logik: Wenn der Bürger „Schnitzel“ liest, dann will er Fleisch. Wenn er kein Fleisch bekommt, ist er getäuscht. Wenn er aber „Sojaflunder mit Erbsenkernstruktur“ liest, dann weiß er wenigstens, dass er nichts versteht – aber ehrlich.
Die Fleischlobby jubelt
Landwirte in ganz Europa atmen auf. Endlich kümmert sich jemand um ihre Sorgen – nicht um Preise, Umwelt oder Tierwohl, sondern um das Wörtchen „Wurst“. Das sei schließlich Kulturgut. Generationen hätten es aufgebaut, Scheibe für Scheibe.
Und so verteidigt man in Brüssel den Begriff wie ein nationales Heiligtum. Man könnte fast meinen, die EU plant demnächst die Schutzmarke „Original Schwein“ – mit geografischer Herkunftsbezeichnung und EU-Gütesiegel.
Die Realität im Kühlregal
Rügenwalder und andere Produzenten fürchten Millionenverluste. Denn wenn aus „Veggie-Frikadelle“ plötzlich „Erbsenpressling in Pattie-Form“ wird, greift der Kunde aus purer Selbstverteidigung wieder zum Tier. Man will ja beim Abendessen nicht erst ein Seminar in Lebensmittellinguistik besuchen.
„Die Leute wollen Wurst – auch wenn sie gar keine mehr wollen“, so ein Unternehmenssprecher mit einer Verzweiflung, die nach Sojasauce schmeckt.
Die Verbraucherorganisation BEUC hält dagegen:
„Niemand ist verwirrt. Die meisten erkennen den Unterschied zwischen Wurst und Wurstersatz.“
Doch wer die EU kennt, weiß: Vernunft hat dort die Haltbarkeit eines veganen Mettbrötchens.
Vorschläge für die neue Zeitrechnung
Da das Verbot noch verhandelt wird, kursieren bereits alternative Namensideen. Unter anderem:
- „Proteinrolle pflanzlicher Herkunft mit erinnerungsträchtiger Optik“
- „Klimaschnitte à la Bienenfreund“
- „Panade im Exil“
- „Fleischähnliches Erlebnisprodukt mit ethischer Oberflächenstruktur“
- „Sojabrät im Übergangsstadium zur Wurstigkeit“
Dazu könnte die EU eine neue Kennzeichnungspflicht einführen: „Dieses Produkt enthält kein Fleisch, aber dafür ein schlechtes Gewissen für alle Beteiligten.“
Die EU hat wieder geliefert
Während Kriege toben, Preise explodieren und das Klima kollabiert, ringt Brüssel um den semantischen Reinheitsgrad der Bratwurst. Das ist wahre Politik! Man schützt nicht die Umwelt, sondern den Begriff „Schnitzel“.
Und so bleibt die Frage: Wird der Verbraucher demnächst auch vor „Pflanzenmilch“ gewarnt, weil keine Kuh darin vorkommt? Oder vor „Hackfleisch light“, weil man sich beim Kauen nicht betrogen fühlen darf?
Wenn das so weitergeht, steht bald auf jeder Verpackung: „Dieses Produkt könnte Sie verwirren. Guten Appetit.“
Nachklapp: Rügenwalder bleibt gelassen. Fleischermeister Röder, einst verantwortlich für Kochschinken, heute für Veggie-Schinken, sagt:
„Wir wollten die Welt ein bisschen besser machen.“
Nun droht ihm Brüssel, das Etikett dafür abzuschaffen. Aber keine Sorge: Sollte der Begriff „Wurst“ verboten werden, nennen sie ihre Produkte einfach „Wahrheit in Scheibenform“ – das dürfte in Europa ja weiterhin erlaubt sein.