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Fünf Jahre bis zur Zugehörigkeit – Deutschland erfindet die Einbürgerung als Geduldsprüfung neu

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Fünf Jahre bis zur Zugehörigkeit – Deutschland erfindet die Einbürgerung als Geduldsprüfung neu

Ein Blick auf ein Land, das Integration für einen Triathlon hält

Berlin, Reichstagskuppel. Der deutsche Bundestag hat mal wieder Geschichte geschrieben – oder besser gesagt: einen alten Gesetzestext entstaubt, durch den Schredder gejagt und als neue Härte im Integrationsrecht verkauft. Die beschleunigte Einbürgerung nach drei Jahren – also der Versuch, Integration auch einmal zu belohnen statt zu behindern – wurde abgeschafft. Jetzt gilt wieder: Fünf Jahre mindestens. Wer Deutscher werden will, soll es sich verdienen. Mit Sitzfleisch, Formularverständnis und seelischer Leidensfähigkeit.

Man könnte sagen: Willkommen im Land der Dichter, Denker und Dauerantragssteller.

Der deutsche Pass: Jetzt mit eingebautem Wartezimmer

Innenminister Alexander Dobrindt, Bayerns inoffizieller Minister für Verhinderungspolitik, erklärte die Reform mit der ihm eigenen Mischung aus Pathos und Provinzlogik:

„Der deutsche Pass steht am Ende eines Integrationsprozesses, nicht am Anfang.“

Klingt vernünftig – bis man sich fragt, ob Integration jemals wirklich endet. Vielleicht, wenn jemand freiwillig ein Formular ausfüllt, ohne zu weinen? Oder wenn ein Migrant bei „Wetten, dass..?“ spontan „Kartoffelsalat“ als Lieblingsgericht nennt?

Dobrindt ließ außerdem durchblicken, der deutsche Pass dürfe „kein Anreiz für illegale Migration“ sein – eine These, die ungefähr so logisch ist wie die Angst, dass jemand wegen des Bonushefts zum Zahnarzt flieht.

Aber man kennt die bayerische Doktrin: Erst einmal alles, was fremd klingt, in die Kategorie „Gefährdung der Leitkultur“ einsortieren – und dann gemütlich bei Weißwurst und Brezn Integration erklären.

„Wir haben Integration verstanden – als Hindernislauf“

Die neuen Regeln erinnern frappierend an ein satirisches Spielshow-Format: „Deutschland sucht den Super-Deutschen“.

  • Runde 1: Fünf Jahre Wartezeit, ohne auszufallen.
  • Runde 2: Antrag auf Antrag stellen (mit beglaubigter Kopie der Kopie).
  • Runde 3: Sprachtest mit dem Wort „Quittungsdruckerrollenfach“ – fehlerfrei auszusprechen, bitte.
  • Finale: Gespräch im Einbürgerungsamt. Bonuspunkte, wenn Sie den Satz „Das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich“ ohne Emotion ertragen.

Gewinner bekommen den Pass – und dürfen dann mitentscheiden, wer die nächsten Integrationshürden aufstellt.

Die Statistik der Unsinnigkeit

Das Schönste an der ganzen Reform ist, dass sie auf Zahlen basiert, die niemanden erschüttern dürften – außer vielleicht die Excel-Tabelle im Innenministerium. Seit der Einführung der beschleunigten Einbürgerung 2024 nutzten in Berlin 573 Menschen die Möglichkeit, nach drei Jahren Deutscher zu werden. Das sind 1,02 Prozent aller Einbürgerungen.

In Bayern – Dobrindts Heimat – waren es 78 Personen. In Baden-Württemberg gar nur 16 Fälle.

Das heißt: Die Bundesregierung hat eine Regelung abgeschafft, die in etwa so viel gesellschaftliche Relevanz hatte wie ein Faxgerät in einem Start-up.

Oder, wie es ein Oppositionsabgeordneter der Grünen süffisant formulierte:

„Wenn die CSU etwas nicht versteht, wird es sicherheitshalber verboten.“

SPD und CDU – Die perfekte Allianz der Halbüberzeugten

Während CDU und CSU die Rückkehr zur Fünfjahresfrist feierten wie die Rückkehr des Christkindes, wirkte die SPD in dieser Debatte wie der Typ, der im Kino mitleacht, obwohl er den Witz nicht verstanden hat.

Sonja Eichwede, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, erklärte, die beschleunigte Einbürgerung sei „nicht der zentrale Hebel“. Das ist korrekt – aber ungefähr so hilfreich, wie bei einem Wohnungsbrand zu sagen, dass der Rauchmelder „nicht das größte Problem“ sei.

Die SPD verteidigte die Abschaffung also nicht, sie kommentierte sie passiv – wie ein politischer Wetterfrosch: „Wir hätten das anders gemacht, aber na ja, der Himmel ist halt grau.“

Die Grünen und Linken: Empört, aber gewohnt erfolglos

Filiz Polat (Grüne) nannte die Reform „falsch und kurzsichtig“. Sie warnte davor, dass Integration ohne Belohnung zur Einbahnstraße werde – woraufhin Dobrindt vermutlich gedacht hat: „Genau das war der Plan.“

Ferat Kocak (Linke) ging noch weiter:

„Diese Koalition macht den Hass der AfD salonfähig!“

Eine steile These, aber nicht ganz abwegig. In Deutschland heißt „Abgrenzung zur AfD“ oft: ihre Position übernehmen, aber mit einem milderen Logo.

„Wir brauchen Fachkräfte!“ – ruft die Wirtschaft ins Leere

Während die Politik diskutiert, bleibt die Wirtschaft pragmatisch. Die Diakonie Deutschland und Wirtschaftsweise Martin Werding erinnern daran, dass Integration und Fachkräftegewinnung zusammenhängen könnten – ein Gedanke, der in Berlin offensichtlich als gefährlich revolutionär gilt.

Ronneberger von der Diakonie warnt:

„Wer sieht, dass Integration hier eher gebremst als belohnt wird, sucht sich ein anderes Land.“

Eine Beobachtung, die Dobrindt vermutlich mit einem zufriedenen Nicken quittiert hat: „Na also, das war ja der Sinn der Sache.“

Die deutsche Bürokratie – als Schutzwall der Identität

Realistisch betrachtet ist das neue Gesetz weniger Integrationsmaßnahme als Verwaltungsverteidigungsstrategie. Denn das Einbürgerungsverfahren in Deutschland gilt längst als eine Art staatlich zertifizierte Mutprobe: Man kämpft sich durch mehr Formulare als im Steuerrecht, wird geprüft, befragt, durchleuchtet – und wenn alles gutgeht, bekommt man nach fünf Jahren eine Einladung, auf der steht: „Bitte bringen Sie zur Einbürgerungsfeier Ihren Reisepass, Ihre Geburtsurkunde, Ihre Schulzeugnisse, eine Rentenbescheinigung und gute Laune mit.“

Gute Laune. Nach fünf Jahren Wartezeit. Das ist ungefähr so realistisch wie ein funktionierender Berliner Flughafen.

Willkommen im Land der unbegrenzten Voraussetzungen

Deutschland, das Land, das sich nach außen weltoffen gibt, aber innen noch jeden Integrationsversuch in der Warteschleife festhält. Der neue Slogan der Einbürgerung könnte lauten:

„Wer hier bleiben will, braucht keine Geduld – er wird sie haben.“

Denn wer fünf Jahre lang überlebt, ohne aufzugeben, hat die wichtigste deutsche Tugend längst bewiesen: Durchhaltevermögen im Angesicht institutionalisierter Absurdität.

Und vielleicht ist genau das die wahre Prüfung zur Staatsbürgerschaft: Nicht Sprache, nicht Werte, nicht Integration – sondern die Fähigkeit, mit einem Lächeln im Gesicht zu sagen:

„Ja, ich habe verstanden, dass hier nichts schnell geht. Und ich bleibe trotzdem.“

Dann, und nur dann, ist man wirklich Deutscher.