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Milei, der Kettensägen-Kapitalist – Wie Argentinien versucht, mit US-Dollars den eigenen Motor zu übertönen
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Der Mann, der den Staat zersägen wollte – und sich selbst traf
Es war ein Bild für die Geschichtsbücher – oder für ein Meme: Javier Milei, der „Anarchokapitalist“ mit Wuschelmähne, Kettensäge und der Energie eines spätpubertären Rockstars, der glaubte, er könne das ganze System einfach wegschneiden. „Der Staat ist der Feind!“, rief er damals, während seine Fans Mate-Tee tranken und jubelten.
Ein Jahr später hat sich der Kampf gegen den Staat in ein Duett verwandelt: Milei sägt noch immer, aber diesmal am Ast, auf dem er selbst sitzt – während das US-Finanzministerium liebevoll den Ast hält.
Der Plan war so kühn wie simpel: Zentralbank abschaffen, Peso beerdigen, US-Dollar einführen, alles wird gut. Doch Argentinien wäre nicht Argentinien, wenn nicht alles anders käme: Die Inflation sinkt – aber nur, weil niemand mehr Geld hat, das man entwerten könnte.
Und so steht der Präsident jetzt vor der internationalen Finanzwelt wie ein Mechaniker mit kaputter Motorsäge und ruft:
„Keine Sorge, ich hab noch den Quittungsblock!“
Die stotternde Kettensäge und der Dollar-Tropf
Die „wirtschaftliche Schocktherapie“, wie Milei sie nennt, fühlt sich in der Praxis eher an wie eine Kältebehandlung ohne Narkose. Die Zentralbank, die eigentlich „eliminiert“ werden sollte, pumpt mittlerweile mehr Dollar ins Land, als je zuvor. Der Unterschied: Früher kam das Geld aus dem IWF, heute kommt’s direkt aus Washington – also quasi vom gleichen Arzt, nur mit anderer Visitenkarte.
Das US-Finanzministerium hat dem Patienten Argentinien 20 Milliarden Dollar verabreicht, in der Hoffnung, die Symptome zu lindern: einen Peso, der beim bloßen Anblick eines Euros in Schweiß ausbricht.
Doch das Wunder blieb aus – und jetzt kommt auch noch Trump ins Spiel. Er mag Milei zwar, aber wie bei jeder Trump-Beziehung gilt: Zuneigung ist nur solange sicher, wie sie sich politisch rechnet.
Wenn Donald Trump zum Finanzberater wird
Trump, der selbsternannte Meister der Deals, erklärte kurzerhand, Milei sei „ein großartiger Typ, aber wenn er verliert, verschwenden wir unsere Zeit“. Das ist ungefähr so tröstlich, wie wenn dein Feuerwehrmann sagt:
„Ich lösche das Haus – aber nur, solange es nicht ganz brennt.“
Diese kleine Bemerkung reichte, um den Peso in die Knie zu zwingen. Die Kurse stürzten, die Investoren flohen, und im Weißen Haus musste jemand hektisch nachschütten – diesmal mit Dollars, die eigentlich für US-Beamtengehälter gedacht waren.
Trump legte am nächsten Tag noch nach:
„Sie sterben! Sie haben kein Geld, gar nichts!“
Selten hat ein Präsident so ehrlich über Wirtschaft gesprochen – nur dummerweise über die seines „Freundes“.
Die argentinische Regierung reagierte mit der diplomatischen Variante von Nervenzusammenbruch:
„Wir danken für das Vertrauen und die warme Unterstützung unserer Partner in Washington.“
Woraufhin ein US-Diplomat trocken antwortete:
„Welches Vertrauen?“
Der Rockpräsident und sein Wunderbuch
Milei bleibt unbeeindruckt. Wenn die Weltwirtschaft brennt, zückt er lieber die Gitarre. Anfang Oktober veranstaltete er ein Rockkonzert in Buenos Aires, wo er mit seiner Band „La Libertad Avanza“ („Die Freiheit schreitet voran“) auftrat. Er sang, tanzte, und feierte sein Buch „La Construcción del Milagro“ („Die Konstruktion des Wunders“).
Ein Wunder ist es tatsächlich – nur leider keins aus der Ökonomie, sondern aus der Kategorie „Optische Täuschung“. Denn laut Umfragen haben 80 % der Argentinier ihr Konsumverhalten drastisch reduziert. Die Inflation sinkt – aber nur, weil niemand mehr Fleisch, Käse oder Benzin kauft.
Ein Ökonom fasste es treffend zusammen:
„Argentinien hat die Inflation besiegt, indem es das Volk verarmen ließ. Eine brillante Strategie, wenn man das Ziel falsch verstanden hat.“
Die große amerikanische Geldshow
Während Milei sich selbst bejubelt, schiebt das US-Finanzministerium weiter Milliarden nach Süden – und behauptet, das sei keine Rettung, sondern „eine Brücke“. Eine Brücke wohin? Offenbar über den Atlantik, direkt in den Abgrund.
Denn neben dem US-Kredit überlegen auch Goldman Sachs, JPMorgan, Citigroup und andere Banken, 20 Milliarden Dollar zu verleihen – natürlich nur mit Sicherheiten. Was sie als Gegenwert verlangen, bleibt unklar. Vielleicht ein Stück Patagonien oder einen Sitzplatz in Mileis Band.
Ein Analyst von der Wall Street fasst es nüchtern zusammen:
„Wenn der Peso fällt, verlieren alle. Außer vielleicht Trump – der verkauft dann den Schutt als Erfolg.“
China, Soja und die Ironie des Kapitalismus
Ironischerweise fließt ein Teil des frischen Geldes direkt nach China. Denn Milei hat die Exportsteuern auf Soja gestrichen, um kurzfristig Devisen zu generieren. Jetzt kaufen die Chinesen fröhlich argentinische Sojabohnen – und die Amerikaner zahlen den Kurs.
US-Farmer schäumen. „Warum subventioniert unser Finanzministerium unsere Konkurrenz?“, fragt ein Bauer in Iowa. Die Antwort: „Weil es um Demokratie geht.“ Oder um Soja – da ist man sich in Washington nie ganz sicher.
Der Traum vom Wundermarkt – und das Erwachen
Milei verkörpert das, was passiert, wenn Ideologie auf Realität trifft: Die Theorie vom „freien Markt“ endet genau da, wo man erkennt, dass Freiheit ohne Geld vor allem eins ist – anstrengend.
Sein Programm der radikalen Einsparungen hat zehntausende Staatsangestellte entlassen und 18.000 Unternehmen in den Ruin getrieben. Doch er bleibt dabei: „Der Markt wird’s richten!“ Was in Argentinien inzwischen so klingt wie: „Vielleicht bringt uns das Universum ja einen neuen Peso.“
Der Nobelpreisträger Paul Krugman kommentierte trocken:
„Argentinien verbrennt gerade Milliarden Dollar, um den Peso zu retten – das ist, als würde man Wasser ins Feuer gießen und hoffen, dass es nicht verdampft.“
Und während die letzten Dollarreserven in den Währungsfeuern verschwinden, spielt Milei weiter Rockmusik und schwört, das „Wunder von Buenos Aires“ sei nur eine Frage der Zeit.
Vielleicht hat er recht – nur wird es wohl das erste Wunder der Geschichte sein, das in Raten gezahlt werden muss.