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Harvard, Epstein & die Geister der Vergangenheit: Wenn Eliten den Staub unter dem Teppich wiederfinden

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Harvard, Epstein & die Geister der Vergangenheit: Wenn Eliten den Staub unter dem Teppich wiederfinden

Eliteuniversitäten lieben es, sich als moralische Leuchttürme zu inszenieren – strahlend, unantastbar, erhaben. Doch manchmal zeigt sich: Auch Leuchttürme haben Stromleitungen, die direkt in die Kellerdiskothek der Realität führen. Und in diesem Fall heißt die Diskothek: Jeffrey Epstein.

Ja, jener Epstein, dessen Name seit Jahren im kollektiven Gedächtnis als Mix aus „Milliardär“, „Skandal“ und „Warum zur Hölle wussten da so viele so wenig?“ gespeichert ist. Und nun ist er zurück. Nicht er selbst – der ist tot –, aber seine Verbindungen. Besonders jene zu Harvard.

Harvard, die moralische Matrone – mit einer peinlichen Fußnote

Harvard, als Marke irgendwo zwischen Heiligenschein und Premium-Teppichboden angesiedelt, wird wieder einmal von der eigenen Vergangenheit heimgesucht. Und das mit der Regelmäßigkeit eines schlecht programmierten Nachrichtentickers.

Diesmal sind es E-Mails und Textnachrichten, die ans Licht kamen. Und zwar nicht irgendwelche, sondern solche des ehemaligen Harvard-Präsidenten Larry Summers. Ein Mann, der sich in der Geschichte der Universität ohnehin schon einen Fußnotenplatz gesichert hat – und zwar aus Gründen, die selten mit „Weisheit“ oder „Diplomatie“ in Verbindung stehen.

Die Harvard-Zeitung Crimson veröffentlichte den brisanten Stoff: enge, persönliche Kommunikation zwischen Summers und Epstein, die bis kurz vor Epsteins Festnahme 2019 lief. Man könnte also sagen: Während die Welt längst ahnte, dass Epstein ein Problem darstellt, war Harvard offenbar noch dabei, höfliche Grüßbotschaften auszutauschen.

Dass Summers sich dabei auch noch abfällig über Frauen äußerte, ist fast schon erwartbar – schließlich ist er schon 2005 wegen ähnlicher Aussagen geflogen. Man könnte sagen: Larry Summers ist der Dieter Bohlen der amerikanischen Universitätspolitik: talentiert, aber mit einem seltsamen Reflex, Dinge laut zu sagen, die man maximal in einen schlecht verschlüsselten Tagebucheintrag tippen sollte.

Jetzt hat er sich erneut „aus der Öffentlichkeit zurückgezogen“. Es ist eine Karriereform, die ausgerechnet dort besonders gut funktioniert: im Harvard-Dunstkreis, wo Wegducken eine akademische Disziplin ist.

Wenn Archive sprechen könnten – sie würden Harvard anschreien

Die Universität kündigte nun an, erneut eine interne Untersuchung einzuleiten. Ein Satz, den Harvard inzwischen vermutlich als Textbaustein in jeder offiziellen Stellungnahme abgespeichert hat. Vermutlich direkt zwischen „Wir nehmen diese Vorwürfe sehr ernst“ und „Wir arbeiten eng mit den relevanten Stellen zusammen“.

Man prüfe Informationen zu Personen aus dem Umfeld der Hochschule, die „in jüngst veröffentlichten Dokumenten“ auftauchten. Das klingt, als hätte jemand in der juristischen Abteilung den „schonendsten denkbaren Passivstil“ aktiviert.

Konkreter: Harvard weiß, dass noch mehr Namen fallen könnten. Harvard hofft gleichzeitig, dass möglichst wenige davon wichtig sind. Harvard bereitet sich darauf vor, die Schuld auf veraltete Richtlinien, individuelle Fehlentscheidungen und „das soziale Klima der 2000er“ zu schieben.

Die offizielle Formulierung: Es solle geklärt werden, „welche Maßnahmen erforderlich sein könnten“.

Der inoffizielle Subtext: „Wir schauen mal, wen wir diesmal feuern, suspendieren oder als Einzelfall deklarieren müssen.“

Die neun Millionen Dollar, die niemand so richtig kennt

Epstein spendete zwischen 1998 und 2008 rund neun Millionen Dollar an Harvard. Damit finanzierte er Programme, Professuren und mindestens ein Gebäude, das noch heute auf dem Campus steht – eine Art steinernes Denkmal der Inkonsequenz.

Natürlich betont Harvard seit jeher: Nach 2008 nahmen wir kein Geld mehr von Epstein an! Was stets so klingt wie:

„Wir haben gemerkt, dass er ein Problem ist! Okay… spät. Sehr spät. Extrem spät. Aber immerhin haben wir irgendwann reagiert.“

Es ist der moralische Minimalismus einer Institution, die sehr gerne moralischer Gigant wäre.

Ein Harvard-Professor sagte einmal unter der Hand: „Epstein war damals einfach… nützlich.“

Nützlich. Ein Wort, das in Verbindung mit einem Sexualstraftäter ungefähr so klingt wie „sympathisch“ im Zusammenhang mit einem Steuerbescheid.

Das Harvard-Epstein-Problem – ein strukturelles Drama

Harvard hat kein Problem mit Einzelpersonen. Harvard hat ein Systemproblem.

Denn so läuft es:

  1. Ein ultrareicher Mann bietet Unterstützung an.
  2. Die Institution sagt: „Oh, wie großzügig!“
  3. Es folgen Spenden, Stipendien, Gebäude, Netzwerke.
  4. Jahre später kommt ein Skandal ans Licht.
  5. Harvard sagt: „Wir sind entsetzt!“
  6. Harvard sagt: „Wir hatten keine Ahnung!“
  7. Harvard sagt: „Wir prüfen das sehr gründlich!“
  8. Harvard hofft, dass es wieder vorbeigeht.

Dieses Muster wiederholt sich mit der Zuverlässigkeit eines Uhrwerks – oder einer Harvard-Fundraising-Abteilung.

Dabei hätte man zumindest nach Epsteins erster Verurteilung 2008 fragen können:

„Sollen wir vielleicht mal nachschauen, mit wem wir zusammenarbeiten?“

Aber nein. Die Antwort lautete damals sinngemäß: „Wir haben seine E-Mails noch, vielleicht wird sich das später mal lohnen.“

Larry Summers – Harvard’s unbequeme Dauerfigur

Dass ausgerechnet Summers wieder im Zentrum steht, ist fast schon poetische Ironie.

  • 2005: Rücktritt nach sexistischen Aussagen über Frauen in der Wissenschaft.
  • 2020: Kritisiert für Nähe zu Epstein.
  • 2024: E-Mails tauchen auf, die zeigen, dass die Nähe länger andauerte als gedacht.

Summers ist damit so etwas wie der wiederkehrende Harvard-Charakter in einem schlecht geschriebenen Drama: Man dachte längst, er sei aus der Handlung verschwunden, aber in Staffel 5 taucht er wieder auf – mit noch peinlicheren Details.

Der akademische Elfenbeinturm – poröser als gedacht

Harvard ist nicht allein. Auch MIT, Stanford, Yale – alle wurden in den vergangenen Jahren mit Fragen zu demselben Netzwerk konfrontiert. Epstein hatte eine bemerkenswerte Fähigkeit: Er konnte Türen öffnen, selbst dort, wo eigentlich Sicherheitskräfte hätten stehen sollen.

Das Problem ist größer als eine einzelne Universität:

  • Es ist das Problem der Nähe zwischen Geld und Macht.
  • Zwischen Elite und Einfluss.
  • Zwischen glänzenden akademischen Visionen und den Schatten ihrer Finanzierung.

In Harvard prallen diese Kräfte besonders sichtbar aufeinander, denn dort ist der Kontrast am größten: moralische Ansprüche wie im Himmel – Entscheidungspraktiken wie im Maschinenraum.

Harvard wird weiter putzen – und hoffen, dass keiner mehr in den Keller schaut

Harvard will nun „alles aufklären“. Natürlich. Das ist Pflicht. Aber es bleibt ein Unterschied zwischen Aufklärung und Aufarbeiten.

Denn am Ende bleibt eine Erkenntnis, die wie ein zynischer moralischer Prüfstein im Raum steht:

Selbst die schlausten Menschen der Welt sind nicht immun gegen den Charme großer Schecks.

Und das ist die eigentliche Satire dieser Geschichte.