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Politik

Geert Wilders und die Kunst des Verlierens – Wenn Demokratie nur gilt, solange man sie gewinnt

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Geert Wilders und die Kunst des Verlierens – Wenn Demokratie nur gilt, solange man sie gewinnt

Die Niederlande, Land der Tulpen, Windmühlen und geordneten Fahrräder – und jetzt offenbar auch der alternativen Wahlergebnisse. Denn Geert Wilders, der Mann, der politisch aussieht wie eine Mischung aus Don Quijote und einem Föhn in Lebenskrise, hat die Parlamentswahl knapp verloren – und reagiert so, wie man es von einem echten Populisten erwartet: beleidigt, laut und mit einer Prise Verschwörungsromantik.

Die linksliberale D66 unter Rob Jetten lag am Ende mit nur 15.155 Stimmen vorne – also weniger als ein durchschnittliches Konzertpublikum in Amsterdam. Doch statt höflich zu gratulieren oder wenigstens den Frust in einem holländischen Käsekloß zu ertränken, zog Wilders sein Smartphone aus der Tasche und begann das, was in seiner Welt einem Staatsakt gleichkommt: das Twittern.

Von der Wahlurne zur Wahlurne – und plötzlich sind sie weg

„In Maastricht sollen über 100 Stimmzettel nicht gezählt worden sein!“, schrieb Wilders in einer dramatisch anmutenden Online-Erleuchtung. Kurz darauf die nächste Nachricht: „In Zaanstad sind 15 Wahlurnen verschwunden!“ – eine Schlagzeile, die klingt, als hätten sich die Urnen aus Protest gegen das Wahlergebnis kollektiv selbständig gemacht.

Natürlich konnte niemand die Behauptungen überprüfen. Es gab keine Fotos, keine Zeugen, keine Beweise – nur Screenshots angeblicher Privatnachrichten, die Wilders auf der Plattform X veröffentlichte. Und natürlich fügte er den klassischen Satz an, der mittlerweile in allen Verschwörungshandbüchern zwischen Kapitel „Bill Gates“ und „Chemtrails“ steht: „Ich weiß nicht, ob das alles stimmt, aber es wäre gut, wenn das untersucht würde.“

Das ist die neue politische Eleganz: unbelegte Gerüchte streuen und sich dabei als aufmerksamer Demokrat inszenieren. Oder, wie man es in der Psychologie nennt: Wahrnehmungsakrobatik mit Realitätsverlust.

Von der Verliererpose zur Opferrolle – Populismus als Selbsthilfegruppe

Wilders wäre aber nicht Wilders, wenn er die Bühne nicht gleich zur Tragödie aufblähen würde. Statt seine Niederlage als das zu akzeptieren, was sie ist – eine knappe, aber faire Abstimmung – inszeniert er sich lieber als Märtyrer der ehrlichen Stimme, der vom System betrogen wurde.

Sein Tonfall schwankt dabei zwischen beleidigtem Teenager und mittelalterlichem Inquisitor. Während D66-Chef Rob Jetten sich zum Wahlsieger erklärte – ein Vorgang, der in Demokratien eigentlich recht normal ist –, tobte Wilders über dessen „Arroganz“.

Ein klassisches Muster: Wenn andere gewinnen, ist es Hochmut; wenn Wilders gewinnt, ist es der Wille des Volkes.

Er schimpfte, das Ergebnis sei „verdächtig“, der Jubel des Gegners „respektlos“, und überhaupt sei das alles „sehr seltsam“. Eine Argumentation, die sich hervorragend in jede Kneipendebatte einbauen lässt, kurz bevor jemand anfängt, von „den Medien“ zu reden.

Das Phantom der Demokratie

Wilders scheint die Wahl als eine Art Fußballspiel zu sehen, bei dem die Regeln nur gelten, solange er führt. Sobald der Gegner das Tor trifft, ist der Schiedsrichter gekauft, das Netz manipuliert und die Eckfahne linksgrün versifft.

Dabei war das Ergebnis denkbar knapp, aber vollkommen legal. Die Wahlkommission hat die Auszählungen mehrfach bestätigt, unabhängige Beobachter sahen keinerlei Unregelmäßigkeiten. Doch in der Welt des Geert Wilders ist die Realität ein Vorschlag – und Vorschläge kann man ablehnen.

Und so entsteht das neue niederländische Nationaldrama: „Die verschwundenen Urnen von Zaanstad“. Ein Politthriller, in dem die Wahrheit irgendwo zwischen Twitter-Feed und Fanpost verloren geht.

Wenn Trump zum Lehrmeister wird

Wilders’ Reaktion erinnert frappierend an den großen orangefarbenen Lehrmeister jenseits des Atlantiks: Donald Trump. Auch er konnte bekanntlich mit dem Konzept „Verlieren“ nie so richtig etwas anfangen. Stattdessen erfand er ganze Parallelwelten, in denen er immer noch Präsident ist, Wahlurnen plötzlich Beine bekamen und Millionen Stimmen heimlich in venezolanischen Servern verschwanden.

Und nun scheint Geert Wilders sich gedacht zu haben: „Das probiere ich auch mal!“ – quasi „Make the Netherlands Great Again“, nur mit mehr Gouda und weniger Grammatik.

Doch während Trump wenigstens ein Heer an Rechtsanwälten hatte, die seine Fantasien in Klageform gossen, steht Wilders in den Niederlanden relativ allein da – bewaffnet mit einem Twitter-Account, einem Ego von der Größe Rotterdams und dem unerschütterlichen Glauben, dass jeder, der ihn nicht wählt, Teil eines Komplotts ist.

Demokratie als Wunschergebnis

Man muss Wilders eines lassen: Er versteht es, Niederlagen zu inszenieren. Für seine Anhänger ist er kein Verlierer, sondern ein Opfer. Kein Politiker, sondern ein Prophet. Und jeder Tweet, jede unbelegte Behauptung, jeder empörte Ausbruch fügt sich perfekt in sein Narrativ vom „verratenen Volk“.

So verwandelt sich eine ganz normale Wahl in ein postdemokratisches Theaterstück – mit Geert Wilders als Hauptdarsteller, Regisseur und Dramaturg in Personalunion. Titel: „Die gestohlene Stimme“. Untertitel: „Ich weiß nichts Genaues, aber es wäre gut, wenn das untersucht würde.“

Das Drama des Daueregoisten

Während D66-Chef Jetten schon vorsichtig die Regierungsbildung sondiert, spielt Wilders weiterhin den wütenden Internetkommentator. Er könnte den Wahlausgang akzeptieren, Verantwortung übernehmen, vielleicht sogar mit Würde verlieren. Aber das wäre dann doch zu langweilig für einen Mann, der lieber in Verschwörungsgeschichten badet als in Wahlergebnissen.

So bleibt die Demokratie stabil – und Wilders unbelehrbar. Oder, wie man in den Niederlanden vielleicht sagen würde: „Zijn haar mag staan, maar zijn geloof in die waarheid blijft liggen.“ (Sein Haar steht, aber seine Wahrheit liegt darnieder.)