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Kontext als Wunderwaffe: Wie Thorsten Frei Merz’ Belém-Aussage glattstreichen will
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Es gibt politische Missverständnisse, die sind einfach nur Missverständnisse. Es gibt Fauxpas, die sind so eindeutig, dass selbst die beste PR-Abteilung sie nicht mehr zum Wetterbericht umdeuten kann. Und dann gibt es jene Momente, in denen das Kanzleramt versucht, eine baumgroße rhetorische Entgleisung in der Größe eines Bonsais erscheinen zu lassen.
Willkommen beim „Belém-Gate“ des Bundeskanzlers – und bei Thorsten Frei, der neuen politischen Lizenz zum Schönreden.
Denn was ist passiert? Friedrich Merz hat auf einem Handelskongress beiläufig und mit der emotionalen Feinfühligkeit eines Presslufthammers erklärt, dass niemand aus seiner Delegation bei der Klimakonferenz in Belém hätte bleiben wollen. Im Gegenteil: Alle seien „froh gewesen, wieder wegzukommen“.
Eine Aussage, die ungefähr so diplomatisch wirkt wie ein Länderspiel, bei dem der Kapitän des Gastteams vor laufender Kamera sagt, das Hotel stinke, das Essen sei schlecht und die Stadt wirke wie ein Ort, an dem der Straßenzustand mit einer Machete bewertet wird.
Brasilien reagierte – wenig überraschend – empört. Und Berlin reagierte – ebenso wenig überraschend – mit einem freundlichen „Das war alles ganz anders gemeint!“.
Thorsten Frei: der Mann, der rhetorisch Bügeleisen verkauft
In RTL/ntv trat nun Kanzleramtschef Thorsten Frei auf, der politisch gesehen im Moment die Funktion einer Industrie-Poliermaschine erfüllt: er glättet, was Merz vorher wellig gemacht hat.
„Nein, das würde ich nicht sagen“, antwortet Frei auf die Frage, ob Merz’ Worte eine Entgleisung seien.
Das ist bemerkenswert. Denn wenn ein Kanzler einen Gastgeberstaat verbal so ungeschickt beschreibt, dass das halbe Land aufschreit, würde man normalerweise zumindest ein „unglücklich formuliert“ erwarten. Oder ein „Die Wortwahl war vielleicht nicht ideal“. Oder zumindest ein „Wir sehen das kritisch“.
Aber Frei setzt auf die hohe Kunst der politischen Interpretation: Nicht die Aussage war das Problem – sondern die Art, wie sie andere verstanden haben.
Mit anderen Worten: „Der Satz war nicht falsch. Die Welt hat ihn nur falsch wahrgenommen.“
Ein faszinierender Ansatz, der irgendwo zwischen kognitiver Gymnastik und fortgeschrittener Realitätsbeugung angesiedelt ist. Man spürt förmlich, wie im Hintergrund die Kommunikationsberater nervös mit Kaffeetassen klappern.
Der Kontext als Allheilmittel der Politikwäsche
Thorsten Frei führt weiter aus:
„Wenn man es im Gesamtzusammenhang sieht, dann erschließt sich, was er gesagt hat.“
Ah ja. Der berühmte „Gesamtzusammenhang“ – jener magische Raum, in dem Politiker nie das gesagt haben, was sie gesagt haben, und das Publikum immer nur den falschen Fokus gesetzt hat.
Es ist der gleiche Gesamtzusammenhang, in dem ungeschickte Wahlkampfäußerungen plötzlich „humorvolle Zuspitzungen“ werden. Oder Interviews, die schlecht ankommen, im Nachhinein nur „ungünstig geschnitten“ waren.
Im Fall Merz bedeutet dieser Kontext offenbar Folgendes: • Er wollte eigentlich sagen, dass Deutschland schön ist. • Und stark. • Und dass Menschen hier generell gerne leben. • Und, so Frei, „dass wir das an vielen Stellen sehen können“.
Ein Satz, der so nichts mit Belém zu tun hat, wie ein Staubsauger mit der Raumfahrt. Aber er soll nun als der Kern der Merzschen Aussage verkauft werden.
Merz’ Originalton: ein diplomatischer Überraschungsei-Moment
Zur Erinnerung: Friedrich Merz hatte wörtlich gesagt:
„Wer von euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben.“
Und weiter:
„Alle waren froh, wieder zurück nach Deutschland zu kommen.“
In Brasilien löste dieser Satz ungefähr das aus, was in Deutschland passieren würde, wenn ein Staatsgast nach einem Besuch im Ruhrgebiet erklären würde: „Nett hier, aber Glück auf nach Hause.“
Für Brasilien ist es ein Schlag – für Berlin nur ein „Missverständnis“
In Belém war man verständlicherweise verletzt. Die Stadt am Amazonas hat: • massive Wirtschaftsprobleme, • enorme ökologische Bedeutung, • und eine sehr sensible Beziehung zum globalen Blick von außen.
Wenn man so will, ist Belém das geopolitische Äquivalent eines Haustiers, das ohnehin schon nicht gut behandelt wird – und das jetzt von einem Besucher zu hören bekommt, dass es „nicht besonders hübsch“ sei.
Dass Merz sich nicht entschuldigt, ist inzwischen der Standardmodus der Bundesregierung: bloß kein Fehler eingestehen, sondern lieber den Fehler zum Missverständnis erklären.
Satirisch betrachtet: ein Kommunikationskünstler auf Speed
Thorsten Frei wirkt im Interview wie eine Mischung aus diplomatischem Dompteur und rhetorischem Feuerschlucker. Er erklärt, umdeutet, relativiert und lächelt dabei freundlich, als handle es sich um die Wettervorhersage der nächsten Woche.
Politisch bedeutet das: Frei muss den Eindruck erwecken, die Aussage sei nicht falsch. Merz muss den Eindruck erwecken, er stehe zu seiner Aussage. Brasil muss den Eindruck erwecken, es habe verstanden, was nicht gesagt wurde.
Kurz: Alle müssen jetzt so tun, als sei nichts passiert.
Doch die Wahrheit ist: Es wurde etwas gesagt. Und es wurde verstanden. Und die diplomatische Welt reagiert nun darauf.
Deutschland liebt die eigene Schönheit – und ignoriert die Fallhöhe
Merz wollte sagen, dass Deutschland ein schönes Land ist. Das ist es ja auch! Mit Wäldern, Städten, Wirtschaftskraft und einer politischen Kultur, die sich selbst gerne als Spitzenleistung der westlichen Zivilisation sieht.
Aber Schönheit allein macht noch keine Außenpolitik. Und sie berechtigt nicht dazu, andere Länder als „Gut, dass wir wieder weg sind“-Zone zu betrachten.
Es ist eine Geste, die unter Staatslenkern selten gut ankommt – egal, ob man im Amazonasbecken oder am Tegernsee sitzt.
Fazit: ein politisches Stolpern, das niemand wahrhaben will
Thorsten Frei versucht, das Ganze wegzukontextualisieren, zu weichzuzeichnen, zu entdramatisieren. Doch egal wie oft man einen Satz dreht, wendet oder poliert – der Kern bleibt erkennbar.
Und dieser Kern lautet:
Der Kanzler eines Industrielandes hat einen Gastgeberland-Besuch unglücklich kommentiert. Brasilien war empört. Berlin winkt ab.
Ein klassisches Außenpolitikdrama. Mit dem typischen deutschen Extra: „Wenn wir’s nicht so gemeint haben, gilt es nicht.“