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Musterland Deutschland – Pistorius, die Pflicht und der neue Drill der Demokratie

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Musterland Deutschland – Pistorius, die Pflicht und der neue Drill der Demokratie

Deutschland hat mal wieder ein neues Lieblingswort: „Musterung“. Klingt harmlos, fast bürokratisch, irgendwie nach Formular und Augenarzt – doch hinter diesem Begriff steckt der ernsthafte Versuch, das Land auf den Verteidigungsfall vorzubereiten.

Oder, wie Kritiker sagen würden: der Versuch, aus einer Generation Netflix eine Generation Nato zu machen.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat sich festgebissen – und das ist wörtlich zu verstehen. Der Mann wirkt entschlossen, energisch, fast schon soldatisch, wenn er erklärt, warum flächendeckende Musterungen junger Männer (und, wie er betont, „vielleicht irgendwann auch Frauen“) wieder eingeführt werden sollen.

Sein Ziel: Deutschland soll im Ernstfall „handlungsfähig“ sein. Sein Unterton: Deutschland ist es derzeit nicht.

Musterland statt Freizeitgesellschaft

Die Idee klingt einfach: Der Staat möchte wissen, wer im Falle einer Bedrohung tauglich wäre, um notfalls Uniform und Gewehr zu tragen. Das Problem: Die Jugend von heute ist eher fit im Bedienen von Smartphones als von Sturmgewehren.

Und so möchte Pistorius jetzt eine ganze Generation „vermessen, geprüft und vorbereitet“ sehen – nicht, weil man sie direkt einziehen will, sondern „um im Ernstfall zu wissen, was möglich ist“.

Das klingt nach militärischer Statistik, riecht aber ein bisschen nach einem nationalen Fitnessprogramm mit Zwangselementen.

Die große Rückkehr der Zwangsfrage

Offiziell betont Pistorius, der Wehrdienst solle auf „Freiwilligkeit“ basieren – aber eben nur, solange sich genug finden. Falls nicht, drohen „Pflichtelemente“.

Das ist ungefähr so freiwillig wie eine „Empfehlung“ vom Zahnarzt, sich doch bitte hinzulegen.

Man kann sich schon vorstellen, wie die Einladung zur Musterung klingt:

„Sehr geehrter Bürgerin, Sie sind herzlich eingeladen, sich prüfen zu lassen, ob Sie fit genug sind, sich für Ihr Vaterland zu opfern. Absagen sind leider nicht möglich.“

Wenn Münster plötzlich Militärgeschichte schreibt

Pistorius verkündete seine Vision übrigens beim Besuch des Heimatschutzregiments in Münster – einem Ort, der plötzlich zum Symbol einer sicherheitspolitischen Zeitenwende geworden ist. Während draußen Passanten Kaffee trinken und Lastenräder vorbeiziehen, erklärt der Verteidigungsminister drinnen, dass Deutschland dringend wieder lernen müsse, sich zu verteidigen.

Die Kulisse passt perfekt zur deutschen Tragikomödie: Ein Minister mit Helm und Entschlossenheit trifft auf eine Gesellschaft, die sich eher Gedanken über Wärmepumpen und Bahnstreiks macht.

Von der Playstation in die Panzerkaserne

Die große Frage lautet: Wie bringt man eine Generation, die lieber „Call of Duty“ spielt, dazu, wirklich eine Waffe in die Hand zu nehmen?

Manche in der SPD hoffen auf den „pädagogischen Effekt“: Wehrdienst als Schule der Disziplin. Andere fürchten, dass es eher die Schule des kollektiven Durchdrehens wird.

Ein 19-Jähriger, der gerade noch in Berlin-Friedrichshain Soziologie studierte, soll plötzlich in der Heide lernen, wie man ein Sturmgewehr reinigt? Man ahnt, das könnte schwierig werden.

Doch Pistorius bleibt unbeirrt. „Wir brauchen wieder ein Bewusstsein für Verteidigungsfähigkeit“, sagt er. Und wer ihm zuhört, merkt: Er meint es ernst. Er ist der letzte Politiker in Deutschland, der noch glaubt, man könne etwas „anpacken“ – auch wenn es eine Granate ist.

Das Echo der Vergangenheit

Natürlich ruft der Vorschlag Erinnerungen wach – an die gute alte Wehrpflicht, an graue Kasernen, Rasurkontrollen und die Kunst, mit 40 Kilo Gepäck rückwärts zu marschieren. Damals, als man „Tauglichkeitsgrad A“ noch mit Stolz trug – und nicht mit Asthma inhalierte.

Doch die Gesellschaft hat sich verändert. Heute gilt schon das frühe Aufstehen als Zumutung. Wer morgens um sechs zur Musterung soll, klagt wahrscheinlich erstmal über den Mangel an veganem Frühstücksangebot in der Kaserne.

Bürokratie, Bataillone und Bundeswehr-Realität

Selbst wenn Pistorius sich durchsetzt, bleibt da die Frage: Wer soll das alles organisieren?

Die Bundeswehr kämpft bereits heute mit Personalnot, Papierchaos und Materialmangel. Wie realistisch ist also eine landesweite Musterung, wenn man für jede Briefmarke eine Ausschreibung braucht und der Drucker in Koblenz seit 2018 „in Wartung“ ist?

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie das Musterungsamt 2030 aussieht: Drei überlastete Sachbearbeiter, ein veralteter Server und ein Schild am Eingang:

„Bitte Geduld – Ihr Verteidigungsfall wird in Kürze bearbeitet.“

Satire oder Realität?

Es ist schwer zu sagen, was satirischer wirkt – die Idee, Millionen Jugendliche wieder auf Tauglichkeit zu prüfen, oder die Vorstellung, dass das irgendetwas am tatsächlichen Verteidigungszustand ändert.

Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen symbolischer Politik und echter Verzweiflung. Denn Pistorius’ Vorstoß ist nicht nur sicherheitspolitisch – er ist auch psychologisch. Er soll zeigen: „Wir tun was!“ Und in einem Land, in dem das Wort „Zeitenwende“ häufiger fällt als ein funktionsfähiges Gewehr, ist das immerhin schon etwas.

Musterhaft, aber fragwürdig

Pistorius will Deutschland vorbereiten – auf den Ernstfall, auf die Krise, auf das Unvorstellbare. Doch was er bekommt, ist ein Land, das lieber diskutiert als exerziert. Ein Land, das noch den Elternabend mit Doodle organisiert, aber bald Millionen junge Menschen „flächendeckend mustern“ will.

Vielleicht braucht es gar keine Pflichtmusterung. Vielleicht reicht schon ein realistischer Blick auf die Lage: Ein Heer ohne Hosen, eine Bürokratie ohne Munition – und ein Verteidigungsminister, der glaubt, man könne Disziplin wieder einführen wie den Personalausweis.

Wenn das klappt, dann ist Deutschland wirklich wehrfähig.