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Der Rote Bus kommt – Großbritanniens Cyber-Schrecken auf Rädern
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Man stelle sich vor, man wartet in London, bei Regen natürlich, an der Bushaltestelle, der Regenschirm kämpft gegen den Wind, und plötzlich bleibt der Bus einfach stehen. Kein Unfall, kein Streik, kein technischer Defekt – nein, das Busnetz wurde von Peking abgemeldet. Willkommen im 21. Jahrhundert, in dem selbst der öffentliche Nahverkehr geopolitische Relevanz hat.
Großbritannien hat eine neue Staatskrise entdeckt: chinesische Elektrobusse mit Fernwartung. Oder, wie konservative Abgeordnete es nennen: „rollende Trojaner mit Ladegerät“.
Das Department for Transport (DfT) und das National Cyber Security Centre (NCSC) ermitteln wegen des Verdachts, dass Busse des chinesischen Herstellers Yutong theoretisch aus der Ferne deaktiviert werden könnten. Die Vorstellung allein hat den konservativen Politikbetrieb in Aufruhr versetzt. Schließlich war der britische Bus bisher ein Symbol nationaler Stärke – spätestens seit Boris Johnson darin Bier verkaufte.
Der norwegische Auslöser: Ein Bus im Bergwerk
Den Stein ins Rollen brachte – wie so oft bei internationalen Panikmeldungen – Norwegen. Das staatliche Verkehrsunternehmen Ruter testete dort einen fabrikneuen Yutong-Bus nicht etwa auf der Straße, sondern in einem stillgelegten Bergwerk. Offiziell, um Störungen durch Funkverbindungen zu vermeiden. Inoffiziell wohl auch, um sicherzugehen, dass kein Chinese aus Versehen mithört, wie ein norwegischer Ingenieur „Ping!“ sagt.
Das Ergebnis: Der Bus hatte eine rumänische SIM-Karte, die Zugriff auf das Batterie- und Energiemanagementsystem erlaubte. Kein Scherz – ausgerechnet Rumänien, wo man sich fragt, ob die Karte mehr Empfang hatte als ein britischer Mobilfunkvertrag.
Das Testteam stellte fest: Theoretisch könnte jemand den Bus per Software-Update lahmlegen. Praktisch sei das aber schwer – der Zugang könne isoliert, der Kontakt zur Außenwelt getrennt und die Daten geprüft werden. Mit anderen Worten: Gefährlich ist das nur, wenn man es will.
Aber in Zeiten, in denen jeder Toaster mit WLAN schon als Spion verdächtigt wird, reichte das für eine internationale Schlagzeile.
Die britische Paranoia: China sitzt am Steuer
In Großbritannien reagierte man, wie es sich gehört: hysterisch und mit einer Prise Stolz. Man stelle sich das Szenario im Unterhaus vor: Ein Abgeordneter ruft:
„Mr. Speaker, was, wenn Peking morgen beschließt, den 7:45er aus Nottingham zu stoppen?“ Ein anderer fragt: „Und was, wenn sie ihn in die falsche Richtung fahren lassen – Richtung Paris?“
Der konservative Veteran Sir Iain Duncan Smith warnte prompt vor „Abhörgeräten auf britischen Straßen“. Seine Fantasie: Londoner Doppeldecker, die Passagiere heimlich filmen, ihre Gespräche live nach Shanghai streamen und gleichzeitig Batteriedaten an Xi Jinping senden.
Dass die eingebauten Kameras laut Ruter nicht mit dem Internet verbunden sind, tut nichts zur Sache. Denn im Reich der britischen Paranoia gilt: Wenn etwas Strom hat, könnte es theoretisch auch China gehören.
Von der „Chinafurcht“ zur Cyber-Cabaret
Dabei ist die britische Angst durchaus nachvollziehbar – zumindest, wenn man sie mit einer Flasche Gin betrachtet. Nach Huawei, TikTok und angeblich verwanzen Teekannen ist der Elektrobus nun die nächste Front im Kampf gegen den „unsichtbaren Drachen“.
Etwa 700 Yutong-Busse rollen bereits über britische Straßen, vor allem in Glasgow, Nottingham und Südwales. Weitere 2500 Busse stammen vom chinesischen Hersteller BYD. Und irgendwo in Whitehall sitzt jetzt garantiert ein Beamter, der versucht, herauszufinden, ob die Klimaanlage im Bus heimlich Morsezeichen nach Shenzhen sendet.
Ein Regierungssprecher ließ verlautbaren, man arbeite „eng mit den Sicherheitsdiensten zusammen“. Das klingt seriös – bedeutet in der Praxis wahrscheinlich, dass ein IT-Praktikant die Router der Busdepots neustartet und hofft, dass niemand „Ni Hao“ hört.
Der Westen misst mit zweierlei Ladegerät
Die Doppelmoral ist herrlich offensichtlich: Wenn Tesla per Fernzugriff Autos deaktiviert oder Apple iPhones ortet, heißt das „technologischer Fortschritt“. Wenn China dasselbe tut, ist es plötzlich „digitale Kriegsführung“.
Die Vorstellung, dass ein chinesischer Hacker mitten in der Rushhour auf „Stopp“ klickt und ganz Glasgow stillsteht, hat in etwa denselben Realitätsgehalt wie der Brexitplan von 2016 – aber sie verkauft sich besser.
Denn in Wahrheit wäre es für die Chinesen einfacher, die britische Infrastruktur durch ein gewöhnliches Problem lahmzulegen: den britischen Nahverkehr selbst. Der funktioniert auch ohne Spione nicht.
Cyberkrieg trifft auf Kaffeemaschine
Während die Politik Panik schiebt, wirkt die Bevölkerung weitgehend unbeeindruckt. Ein Pendler in London meinte in einem Interview sinngemäß:
„Wenn der Bus aus China mich pünktlich zur Arbeit bringt, kann er meinetwegen auch Mao zitieren.“
Doch die Sicherheitsbehörden bleiben misstrauisch. Man kann sich vorstellen, wie in einem dunklen Keller des Verteidigungsministeriums ein Spezialteam sitzt und USB-Sticks aus chinesischen Bussen analysiert, während jemand flüstert: „Was, wenn der Tempomat eine Botschaft enthält?“
Und irgendwo in China liest ein Ingenieur mit und denkt: „Warum sollen wir britische Busse hacken, wenn sie sowieso nie pünktlich sind?“
Der Bus als Sinnbild der westlichen Selbstzweifel
Die ganze Debatte ist weniger eine Frage technischer Sicherheit als ein Symptom politischer Unsicherheit. Großbritannien, das sich nach dem Brexit in der digitalen Wildnis verirrt hat, fürchtet inzwischen in jedem Kabel einen Angriff, in jedem Akku einen Trojaner und in jeder rumänischen SIM-Karte eine geopolitische Verschwörung.
Die Ironie: Während man in London über „Datenkriege“ redet, hat China längst den Markt gewonnen – nicht mit Spionage, sondern mit Preislisten. Denn am Ende entscheidet kein Geheimdienst, sondern das Beschaffungsamt, das sagt: „Ja, die sind aus China – aber sie sind 30 Prozent billiger und haben Sitzheizung.“
Der Fahrplan der Furcht
Die Angst vor dem „chinesischen Fernbus“ ist ein großartiges Sinnbild der modernen Politik: Man ruft den digitalen Weltuntergang aus – und sitzt gleichzeitig im Bus, der tatsächlich funktioniert.
Die Briten befürchten einen Cyberangriff auf ihr Bussystem, dabei ist das gefährlichste Element im öffentlichen Nahverkehr nach wie vor: der britische Fahrplan.
Vielleicht sollten sie sich weniger um ferngesteuerte Busse sorgen – und mehr darum, dass sie endlich pünktlich fahren.
Denn wenn Peking wirklich Einfluss auf den britischen Verkehr hätte, wäre das wahrscheinlich das erste Mal, dass er reibungslos läuft.