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Land der unbegrenzten Widersprüche: Wie die USA Zensur bekämpfen, indem sie Moderatoren aussperren
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Es gibt politische Maßnahmen, die klingen nach Sicherheit. Andere klingen nach Reform. Und dann gibt es Maßnahmen, die klingen, als hätte jemand im Weißen Haus entschieden, ein Experiment zu starten: „Was passiert, wenn wir die Einwanderungspolitik mit einer Prise Verschwörungstheorie und einer Überdosis Ironie würzen?“ Die neuen Regeln für H-1B-Bewerber gehören ganz klar in die dritte Kategorie.
Die Trump-Regierung hat nämlich beschlossen: Wer in irgendeiner Form jemals etwas moderiert, geprüft, gelöscht oder auch nur kritisch kommentiert hat, was irgendjemand als „Meinungsäußerung“ bezeichnen könnte – der darf nicht mehr in die USA kommen, um dort zu arbeiten.
Damit schafft die Regierung das weltweit erste Visasystem, das sich anhört wie der Versuch, die UNO, das Silicon Valley und das Kommentarforum einer Lokalzeitung in einen Mixer zu werfen.
Das H-1B-Visum: früher Arbeitgebermagnet, heute politisches Minenfeld
Das H-1B-Visum war jahrzehntelang das Einfallstor für internationale Fachkräfte. Softwareentwickler aus Bangalore, KI-Experten aus Peking, IT-Sicherheitsspezialisten aus Frankfurt – sie alle kamen, arbeiteten, zahlten Steuern, entwickelten Raketenwissenschaft oder verhinderten, dass die amerikanische Strominfrastruktur implodiert.
Doch dieses H-1B gibt es nicht mehr.
Heute wirkt es eher wie ein Escape-Room mit dem Schwierigkeitsgrad „Unlösbar – bitte zahlen Sie 100.000 US-Dollar Eintritt und scheitern Sie dann stilvoll“.
Bereits im September hatte die Trump-Regierung die Kosten für das Visum auf einen sechsstelligen Betrag erhöht. Das ist ungefähr so, als würde man ein Busticket kaufen und dafür ein Einfamilienhaus verpfänden. Doch viele Tech-Firmen sagten: „Okay, ist teuer, aber wir brauchen die Leute.“
Nun aber kommt die neue Hürde: Jede Person, die jemals im Internet etwas moderiert hat – sei es beruflich, freiwillig oder aus Verzweiflung –, soll künftig abgelehnt werden.
Die neue Superkraft des Konsulats: Zensur-Orakel spielen
Laut Reuters sollen US-Konsulate nun die Lebensläufe und LinkedIn-Profile der Bewerber durchforsten, um festzustellen, ob sie irgendwie, irgendwo, irgendwann an Zensur beteiligt waren.
Also praktisch jeder Mensch, der im Jahr 2025 ein Internetkonto hat.
Man stelle sich den Alltag im Konsulat vor:
„Hier steht, Sie waren bei Meta beschäftigt?“ „Ja.“ „Und Sie haben… Inhalte moderiert?“ „Ich habe nur verhindert, dass Nutzer Fotos von brennenden Autos posten, um Chaos zu stiften.“ „ABGELEHNT! Sie sind eine Gefahr für die amerikanische Meinungsfreiheit.“
Es würde niemanden überraschen, wenn Konsularbeamte bald Fortbildungen wie „Interpretation von LinkedIn-Profilen in drei Schritten: Herausfinden, wer heimlich ein Zensor ist“ besuchen müssen.
Neu ist zudem die Anweisung, auch die Familienmitglieder der Bewerber zu überprüfen.
Ob das bedeutet, dass demnächst die Oma eines indischen Softwareentwicklers erklären muss, ob sie in ihren Facebook-Gruppen jemals Spam gelöscht hat, bleibt offen.
Ironie-Level: Über 9000
Die Begründung des Außenministeriums lautet etwa so: Die USA wollen nicht, dass ausländische Zensoren Amerikaner „zum Schweigen bringen“. Dies sei eine Gefahr – und eine Beleidigung des amerikanischen Volkes.
Man verweist sogar auf Trump persönlich, der „Opfer solcher Übergriffe“ geworden sei, als Social-Media-Firmen seine Konten sperrten.
Dass diese Unternehmen in den meisten Fällen US-amerikanische Firmen mit ihren eigenen Nutzungsbedingungen sind, ist offenbar nebensächlich. In der Logik dieser Begründung scheint Zensur eine Art wandernde kosmische Strahlung zu sein, die nur dann gefährlich wird, wenn sie von Menschen mit ausländischem Pass ausgeübt wird.
Ein Faktenchecker in Deutschland? Gefährlich.
Ein Faktenchecker in Kansas? Patriotisch.
Man könnte fast meinen, die Regierung hätte beschlossen, dass das größte Risiko für die USA nicht etwa Spionage, Cyberattacken, Klimawandel oder instabile Stromnetze sind – sondern Moderatoren von TikTok-Kommentaren.
Trump – der Schutzpatron der freien Rede (außer wenn sie ihm nicht passt)
Dass ausgerechnet die Regierung, die über Jahre Journalisten beleidigte, Medien beschimpfte und Pressekonferenzen abbrach, nun Meinungsfreiheit als heilige Mission entdeckt, hat einen satirischen Beigeschmack, den man gar nicht verbessern müsste.
Man könnte meinen, die Regierung wolle künftig nur noch Menschen im Land haben, die Moderation ausschließlich als: „Alles stehen lassen, egal wie toxisch, es sei denn, es betrifft mich persönlich“ verstehen.
Tech-Unternehmen: Von entsetzt bis hysterisch lachend
In den Büros von Google, Amazon und Meta dürften sich die Reaktionen derzeit irgendwo zwischen Fassungslosigkeit und resigniertem Lächeln bewegen. Ein Insider könnte sagen:
„Wir brauchen dringend 5.000 neue Spezialisten, aber bitte keine, die wissen, was sie tun. Nur solche, die keinerlei Erfahrung mit digitaler Sicherheit haben – also im Grunde niemanden mehr.“
Es ist ein paradoxes Schauspiel: Die USA wollen ein global führendes Tech-Ökosystem sein – während sie gleichzeitig alle Menschen ausschließen, die dabei helfen könnten, das Internet am Laufen zu halten.
Das ist keine Visapolitik – das ist ein politisches Kunstprojekt
Die neuen Regeln sind weniger praktische Einwanderungssteuerung als vielmehr der Versuch, politische Rhetorik in Verwaltungsprosa umzusetzen.
Die USA wollen keine ausländischen Zensoren. Sie wollen aber auch keine ausländischen Experten. Sie wollen keine Moderation – aber auch keine sozialen Netzwerke, die völlig unmoderiert sind.
Kurz: Sie wollen alles gleichzeitig – außer Realität.