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Zwischen Wellen und Widersprüchen: Hegseths Karibik-Kontroverse als Operette der Unklarheiten

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Zwischen Wellen und Widersprüchen: Hegseths Karibik-Kontroverse als Operette der Unklarheiten

Manchmal hat man das Gefühl, die amerikanische Verteidigungspolitik sei weniger ein kohärentes System als vielmehr eine sehr lange Serie von Überraschungsepisoden, in denen jeder Beteiligte versucht, seine eigene Rolle neu zu definieren. Dies gilt besonders dann, wenn es um Einsätze in der Karibik geht, Drogenschmuggel, Boote unklarer Herkunft, Minister mit einem Hang zu fragwürdigen Entscheidungen – und Admiräle, die plötzlich zu Gedächtnisakrobaten werden müssen.

Der aktuelle Fall um US-Verteidigungsminister Pete Hegseth bietet alles, was ein guter Politthriller braucht: dubiose Zielobjekte, unklare Befehlswege, schlecht dokumentierte Entscheidungsprozesse, widersprüchliche Aussagen und einen politischen Betrieb, der so getan hat, als würde er alles im Griff haben, während hinter den Kulissen ein spontanes Chaos-Picknick stattfand.

Ausgangspunkt ist der 2. September: Ein Boot in der Karibik wird vom US-Militär angegriffen, angeblich handelt es sich um ein Schmugglerboot. Der Angriff ist heftig, aber nicht ungewöhnlich für die US-Kampagne gegen den sogenannten Drogenhandel – eine Kampagne, deren Erfolgsbilanz ungefähr so klar strukturiert ist wie die Bedienungsanleitung eines DDR-Fernsehers. Doch was danach geschah, ließ selbst abgebrühte Militärexperten aufhorchen.

Denn angeblich wurde ein zweiter Angriff auf zwei überlebende Männer angeordnet. Zwei Menschen, die – so die Berichte – weder Waffen noch Boote noch die Möglichkeit hatten, unmittelbar an einer Drogenlieferkette zu partizipieren. Doch offenbar war die Devise: „Wenn sie noch schwimmen, müssen sie noch schmuggeln“, eine Logik, die selbst in Washington als gewagt gelten dürfte.

Prompt stand Verteidigungsminister Pete Hegseth am Pranger, der ohnehin wegen anderer sicherheitspolitischer Grenzüberschreitungen in der Kritik steht. Als wäre das nicht genug, musste nun ausgerechnet Admiral Frank M. Bradley im Kongress erklären, ob der Minister wirklich den Befehl gegeben hatte, sämtliche Überlebenden zu töten.

„Nein“, sagte Bradley. Er habe keinen Befehl erhalten, „alle zu töten“. Ein Satz, der so explizit und gleichzeitig so ausweichend klingt, dass man ihn fast im Sprachlabor studieren möchte. Schließlich ist in politischen und militärischen Kreisen ein nicht gegebener Befehl nicht unbedingt gleichbedeutend mit nicht gemeint, nicht angedeutet oder nicht irgendwie vermittelt.

Der republikanische Senator Tom Cotton, bekannt für seine Vorliebe für harte Law-and-Order-Interpretationen, berichtete fröhlich, dass auf dem Video zwei Überlebende zu sehen seien. Und dass der zweite Angriff gerechtfertigt gewesen sei, da diese Überlebenden „weiter geschmuggelt hätten“. Unter welchen Umständen zwei verletzte, entwaffnete Männer im offenen Meer spontan Kokain verteilen, produzieren oder verkaufen könnten – dazu schweigt Cotton. Vielleicht glaubt er an amphibische Schmugglerfähigkeiten, die selbst Marvel noch nicht verfilmt hat.

Ob die Männer überhaupt Schmuggler waren, weiß niemand. Beweise gibt es jedenfalls keine. Aber Cotton stört das nicht – schließlich hat er das Video gesehen und daraus offenbar sein persönliches Drogendelikt-Detektortraining entwickelt.

Der demokratische Abgeordnete Jim Himes hingegen war weniger amüsiert. Er nannte das Video „eines der beunruhigendsten Dinge, die ich in meiner Zeit im öffentlichen Dienst erlebt habe.“ Das ist bemerkenswert – denn wenn jemand in Washington sagt, etwas sei „beunruhigend“, dann hat es mindestens das Niveau einer mittelgroßen innenpolitischen Katastrophe, eines vierstündigen Haushaltsausschusses oder eines spontanen Interviews des ehemaligen Präsidenten.

Doch zurück zur zentralen Frage: Wer hat den zweiten Angriff angeordnet? Die Modelle, die bislang im politischen Raum schweben, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Modell 1: Niemand hat etwas angeordnet. Das Militär hat einfach geraten.

Eine charmante Theorie, die dem US-Militär allerdings ein Maß an Impulsivität unterstellt, das eher zu einer Schülerband passt.

Modell 2: Hegseth hat etwas gesagt, das keiner als Befehl verstanden hat – außer denen, die danach handelten.

Der Klassiker. Politisch beliebt, juristisch flexibel, ethisch schwierig.

Modell 3: Ein Befehl wurde nie dokumentiert – aber das Pentagon vergisst manchmal, welche Dokumentation existiert.

Historisch durchaus plausibel. Die Archive sind lang und die politischen Karrieren kurz.

Modell 4: Der Einsatz war Teil einer inoffiziellen Linie, die niemand offiziell kennt, aber alle irgendwie anwenden.

In Washington auch bekannt als: Der Geist der Militärdoktrin.

Währenddessen tritt Hegseth vor die Presse, um seine Image-Rettungsaktion zu starten – eine Operation, die komplexer wirkt als alles, was in der Karibik je stattgefunden hat. Man könne ihm nichts vorwerfen, heißt es, es gebe keine Befehle, keine Dokumente, keine direkten Beweise. Eine Verteidigungsstrategie, die juristisch brillant und moralisch eher… hochseetauglich flexibel wirkt.

Doch politische Tragweite hat der Fall dennoch. Der Vorwurf, dass die USA möglicherweise gezielt Überlebende töten ließen, ist ein diplomatischer Sprengsatz. In internationalen Beziehungen ist das ungefähr so subtil wie das Schwenken einer Nebelmaschine beim Staatsbankett.

Und so bleibt am Ende eine Frage, die über allem schwebt: Wenn ein Verteidigungsminister keinen Befehl gibt, aber ein Befehl ausgeführt wird – was sagt das über die Befehlskette aus?

Die Antwort liegt irgendwo zwischen Bürokratie, militärischem Eigensinn und einer politischen Kultur, die in kritischen Momenten gerne so tut, als sei alles unter Kontrolle, während im Hintergrund hektisch die Schuldfrage jongliert wird.