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Goldrausch im Korb: Deutschland wirft sich an die Spitze – und alle gleich in Ohnmacht

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Goldrausch im Korb: Deutschland wirft sich an die Spitze – und alle gleich in Ohnmacht

Deutschland ist Europameister im Basketballf. Ja, richtig gelesen: Basketball! Nicht im Bierkrugstemmen, nicht im Autobahnbau, sondern im Spiel mit einem Ball, den die meisten Deutschen höchstens aus amerikanischen Highschool-Filmen kennen. Das Land, in dem Hallen oft mehr nach Vereinsheim-Mief als nach NBA-Glanz riechen, trägt plötzlich den Titel „Welt- und Europameister“. Satirisch betrachtet: Wir haben’s geschafft, ein globales Monopol auf Dribbeln und Drama zu errichten – made in Germany.

Vom Fehlstart zur Final-Folter

Es war ein Thriller, spannender als jede Tatort-Wiederholung und nervenaufreibender wie die Deutsche Bahn, wenn man pünktlich zum Zug will. 2:13 nach drei Minuten lag Deutschland hinten – so als hätten die Spieler kollektiv beschlossen, erst mal die Nervensysteme ihrer Fans zu zerstören. Aber typisch deutsch: Erst zusammenbrechen, dann langsam wieder aufstehen, um am Ende mit chirurgischer Präzision das Herz des Gegners herauszuschneiden.

Dass Schröder bis zur Pause kaum etwas traf, war dabei Teil des großen Plans: Erst alles vermasseln, dann alle erlösen. Dramaturgie wie bei einer Wagner-Oper, nur mit Shorts und Schweiß.

Schröder: Der Mann, der Nationen zappeln lässt

Dennis Schröder, Kapitän, Retter, Drama-Queen. Erst spielt er so, dass man am liebsten das Parkett unter ihm aufreißen möchte, dann verwandelt er in den letzten Sekunden plötzlich Würfe, als sei er persönlich von Basketball-Gott Dirk Nowitzki gesegnet worden. Die letzten sechs Punkte – alle von ihm.

Das Publikum? Erst Herzinfarkt, dann Freudentaumel. Schröder ist der Heilsbringer des Halbversagens, der einzige Sportler, der es schafft, gleichzeitig als Totalausfall und als Nationalheld in die Schlagzeilen zu kommen.

Türkische Tragödie mit Statistenbonus

Die Türkei spielte stark, kämpfte, hatte Fans im Rücken, die Riga zur türkischen Festung machten. 11.000 Zuschauer schrien, sangen, tobten – und mussten am Ende doch zuschauen, wie ihre Mannschaft am deutschen Betonwall zerschellte. Ein ganzes Land in kollektiver Trauer, während Deutschland den Sieg feiert, als hätte man soeben den Weltfrieden erfunden.

Satirisch zugespitzt: Die Türkei war der Oscar-nominierte Nebendarsteller, der alles gibt – aber dann in der letzten Szene stirbt, damit der Held glänzen kann.

Politiker im Goldrausch

Natürlich ließ es sich der Bundespräsident nicht nehmen, persönlich einzufliegen. Schließlich gibt es keine bessere PR-Gelegenheit, als neben schwitzenden Zwei-Meter-Männern zu posieren. Videobotschaften von Fußballtrainern und Altcoaches fluteten die Handys der Spieler – als ob Basketball nur durch den Segen des heiligen Fußballs gesellschaftlich anerkannt wird.

Und jetzt, da Deutschland Doppelchampion ist, kann man wetten: In Berlin werden Ausschüsse über „mehr Sportförderung“ diskutieren – allerdings nur, bis das nächste Fußball-EM-Spiel läuft.

Basketball – kurz vorm nationalen Kulturerbe?

Neun Spiele, neun Siege, Welt- und Europameister in Serie – das klingt, als hätte Deutschland die DNA der Sowjetunion und Spaniens aufgesaugt und daraus eine neue Sport-Supermacht erschaffen. Die Wahrheit ist natürlich banaler: Ein paar Spieler haben schlicht besser getroffen.

Doch im kollektiven Freudentaumel wird daraus jetzt der „Beginn einer goldenen Ära“. Man kann sich schon die Schlagzeilen vorstellen: „Basketball jetzt Pflichtfach in allen Schulen“ oder „Neue Halle in jedem Dorf“. Realistisch betrachtet: Die nächste Generation übt weiterhin lieber Elfmeter auf dem Bolzplatz.

Die Märchenstunde in Frankfurt

Am Montag wird die Mannschaft in Frankfurt empfangen – wieder mit Konfetti, Tränen, Pathos. Politiker werden Reden halten, die so klingen, als hätten sie die letzten zehn Jahre täglich Basketball geguckt, obwohl sie den Unterschied zwischen Dreierlinie und Mittelkreis nicht kennen.

Die Szene erinnert stark an ein altdeutsches Ritual: Die Helden kehren heim, bringen Gold mit, und das Volk darf für einen Tag vergessen, dass der nächste Winter grauer, die Züge verspäteter und die Straßen löchriger werden.

Goldene Körbe, bleierne Realität

Deutschland ist Europameister – und tut so, als sei dies der endgültige Beweis nationaler Überlegenheit. In Wahrheit bleibt Basketball weiterhin Randsport, die Hallen bröckeln, und nach den Sommerferien interessiert sich wieder niemand dafür. Aber für einen kurzen Moment gilt: Wir sind alle Dennis Schröder.

Oder satirisch zugespitzt: Das Land hat mal wieder eine neue Religion gefunden – nur diesmal besteht die Bibel aus Spielzügen, der Altar ist ein Basketballkorb, und das Abendmahl ist ein Fast-Break zum 88:83.