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Misstrauensantrag Reloaded: Brüssel spielt wieder Demokratie-Bingo
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Freunde der gepflegten Polit-Operette, es ist wieder so weit: In Brüssel steht der nächste Misstrauensantrag auf dem Programm. Und wie bei jeder guten EU-Inszenierung gilt: Viel Rauch, viele Vorwürfe, ein paar pathetische Reden – und am Ende passiert ungefähr so viel wie in einer Folge Verstehen Sie Spaß? ohne versteckte Kamera.
Das Ritual der Misstrauensparty
Das Europäische Parlament pflegt diese Tradition wie andere Länder ihre Karnevalsumzüge. Mindestens einmal pro Legislaturperiode muss die Kommission ordentlich durchgeschüttelt werden – nicht, weil es etwas ändern würde, sondern weil es einfach dazugehört. Im Juli gab’s schon einen Anlauf. Ergebnis: Ein kollektives Schulterzucken. Jetzt also die Revanche, quasi die zweite Halbzeit eines Spiels, das niemand sehen will, aber alle kommentieren.
Und weil das EU-Regelwerk ungefähr so beweglich ist wie eine Betonleitplanke, kann man nicht nur die Präsidentin absägen – entweder alle fliegen oder keiner. Das Ganze hat also die Eleganz einer Massenkarambolage auf der A3: Jeder will weiter, keiner kommt voran, und am Ende steht die Feuerwehr ratlos daneben.
Der Basar der Vorwürfe
Die Liste der Kritikpunkte liest sich wie ein Flohmarkt für politische Empörung: • Rechts: Die Klimapolitik sei „Märchenstunde mit Heizlüfter-Rabatt“. • Links: Das Zollabkommen mit den USA gleiche einem „verzweifelten Schlussverkauf europäischer Industrie“. • Alle zusammen: Migration, Intransparenz, SMS-Skandälchen.
Kurz gesagt: Die Kommission soll alles falsch gemacht haben – außer vielleicht, den Kaffeedienst für die Abgeordneten noch am Laufen zu halten. Wobei man auch hier skeptisch sein darf.
Matheunterricht für Fortgeschrittene
Damit das Ganze tatsächlich erfolgreich wäre, bräuchte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Zwei Drittel! Das ist in Brüssel ungefähr so realistisch wie eine Bahn-App, die pünktliche Verbindungen anzeigt. 361 Stimmen sind nötig, also fast so viele, wie es Lobbyisten pro Quadratmeter gibt.
Zur Erinnerung: Bei der Wahl der Kommission gab es gerade mal 370 Stimmen dafür. Wer glaubt, dass diese Mehrheit sich jetzt in ihr Gegenteil verkehrt, glaubt wahrscheinlich auch, dass Gurkenkrümmung der eigentliche Kern des europäischen Projekts ist.
Historische Fußnoten, die niemand googelt
Ja, 1999 gab es mal einen echten Rücktritt – damals, als Handys noch mit Antenne ausgestattet waren und der Begriff „Cloud“ ausschließlich Wolken meinte. Seitdem versucht jede Generation von Abgeordneten, diesen heroischen Moment nachzustellen. Mit bisherigem Erfolg: null. Brüssels Misstrauensanträge sind der Karaoke-Abend der Politik – laut, schräg und garantiert ohne Folgen.
SMS, Trump & andere Randnotizen
Ach ja, die angeblich verschwundenen SMS mit einem amerikanischen Pharmaboss. Ein Skandal? Vielleicht. Aber in Brüssel ist Intransparenz kein Fehlverhalten, sondern Betriebsnorm. Und dann noch das Zollabkommen mit Trump – politisch ungefähr so sinnvoll wie ein Nichtrauchervertrag mit einem Kettenraucher. Aber irgendwer verdient dran, also wird’s durchgewunken.
Misstrauen als Volkssport
Das Misstrauensvotum ist die olympische Disziplin der europäischen Bürokratie. Es passiert regelmäßig, alle nehmen teil, und niemand gewinnt. Am Ende bleibt die Kommission sitzen wie immer, die Abgeordneten klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, und Europa wirkt wieder für einen Tag so, als würde es funktionieren.
Kurz gesagt: Misstrauensanträge in Brüssel sind wie schlechtes Theater – überinszeniert, vorhersehbar und mit der Pointe: „Vielen Dank fürs Kommen, bitte beachten Sie den Ausgang links.“