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„Ups, die Karte war an“ – Wenn Generäle ihre Eroberungspläne im Hintergrund vergessen
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Im Kreml läuft vieles nach Plan. Meist nach einem Plan, den niemand versteht, aber immerhin nach einem Plan. Doch manchmal entgleitet selbst dem russischen Generalstab die Choreografie, und schon hängt hinter Waleri Gerassimow, dem Generalstabschef persönlich, eine Landkarte im Bild, die so dezent ist wie ein Bär im Porzellanladen. Während er pathetisch von neuen Angriffszielen für den Herbst sprach, leuchteten da plötzlich zwei Namen, die offiziell gar nicht auf der Wunschliste stehen: Odessa und Charkiw.
Es war der geopolitische Fauxpas des Jahrzehnts – eine Art „Zoom-Call-Panne“ für Militärs: Der Mund predigt Diplomatie, aber der Beamer im Hintergrund zeigt die To-do-Liste für den nächsten Kriegsschritt.
Von Friedensverhandlungen keine Spur – dafür „Herbstoffensive“ im Abo
Während in westlichen Hauptstädten noch fieberhaft über mögliche Friedensgespräche debattiert wird, präsentierte Gerassimow einen Feldzug-Kalender, der klingt wie eine Werbebroschüre: „Frühjahr, Sommer, Herbst – jetzt auch im Dreijahresabo.“ Wer da noch auf Frieden hofft, glaubt vermutlich auch, dass russische Soldaten nur auf Bildungsurlaub in der Ukraine sind.
Donald Trump, derzeit mit der Rolle des selbsternannten Weltmediators beschäftigt, ruft derweil nach Verhandlungen. Doch Moskau antwortet mit der Sensibilität eines Panzerketten-Geräuschs: „Danke für den Vorschlag – aber wir bleiben lieber beim Flächenbombardement.“
Prozentrechnung à la Kreml – Mathematik für Fortgeschrittene
Gerassimow listete stolz auf: Luhansk zu 99,7 % kontrolliert, Donezk zu 79 %, Cherson zu 76 %, Saporischschja zu 74 %. Es klang weniger nach militärischem Lagebericht, sondern eher nach einer Rabattaktion: „Diese Woche bis zu 80 % Ukraine im Sonderangebot!“
Natürlich ist nichts davon unabhängig überprüfbar. Aber das stört nicht: In Russland ist Statistik ohnehin ein flexibles Konstrukt – ein bisschen wie Knete, nur härter. Heute 74 %, morgen 94 %, übermorgen 150 %. Die Wahrheit ist dort elastischer als jede Frontlinie.
Odessa und Charkiw – die „versehentliche“ Landkarte
Die Karte zeigte zwei zusätzliche Regionen: Odessa, das Tor zum Schwarzen Meer, und Charkiw, das Industrieherz. Offiziell fordert Moskau das nicht – noch nicht. Inoffiziell hängt es offenbar schon als Poster an der Wand.
War es ein Versehen? Oder ein bewusstes „Oops, das haben wir aber gar nicht absichtlich gezeigt“-Manöver? Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Regime etwas „zufällig durchsickern lässt“, nur um den Westen in Panik zu versetzen. Psychologische Kriegsführung per Wanddekoration – billig, aber effektiv.
Diplomatie als Theaterprobe
Parallel läuft die große Diplomatie-Show: Russland wirft Europa Verzögerungstaktik vor, Europa wirft Russland Verzögerungstaktik vor – und beide Seiten werfen sich gegenseitig mit Worthülsen zu, während im Hintergrund Drohnen starten.
Selenskyj trifft sich bald mit europäischen Spitzenpolitikern in Paris. Dort wird man wieder über „Sicherheitsgarantien“ reden, über „rote Linien“ und über „ernsthafte Gespräche“. Und währenddessen probt Moskau die nächste Staffel seiner Frontlinien-Soap. Die Sitcom „Friends“ hatte mehr Staffeln – aber die russische Serie „Invasion“ droht sie einzuholen.
Generalstabs-TV: „Risiko“ live und in Farbe
Der ganze Vorfall wirkt, als hätte jemand das Brettspiel Risiko im Kreml aufgebaut und vergessen, das Spielbrett nach der Partie wegzuräumen. Nur dass es hier nicht um bunte Plastikfiguren geht, sondern um Städte, in denen Menschen leben.
Gerassimow spricht über „Aufgaben für die Herbstperiode“, während die Karte bereits die Wunschliste für die Weihnachtszeit verrät. Man möchte fast fragen: Gibt’s dazu auch einen Adventskalender? Hinter Türchen Nummer 12: eine neue Offensive.
Der Krieg als PowerPoint mit Hintergrundfolie
Die Welt wollte hören, wie Russland zum Frieden steht. Bekommen hat sie eine Vorlesung in Geografie mit unfreiwilligem Beamer-Leak. Während Diplomaten noch von „Verhandlungen“ reden, zeigt der General gleich die Landkarte der nächsten Angriffe.
Es ist das perfekte Symbol für diesen Krieg: Offiziell redet man über Diplomatie, inoffiziell plant man die nächste Offensive. Offiziell zählt man Prozentzahlen, inoffiziell malt man schon die Grenzen um. Offiziell gibt man sich Opfer westlicher Intrigen, inoffiziell verrät die Wanddeko, dass man nur auf Zeit spielt.
So bleibt am Ende die bittere Pointe: In Moskau hängen die Landkarten nicht als Deko, sondern als Drehbuch. Und während der Westen noch diskutiert, ob Verhandlungen sinnvoll sind, hat der Kreml längst entschieden, dass die nächste Staffel schon im Herbst gedreht wird.