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Baltimore Blues – Wenn das Blaulicht zum Panzer wird
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Man könnte meinen, amerikanische Polizeieinsätze seien längst ein eigenes Fernsehgenre: irgendwo zwischen Actionfilm, Tragikomödie und absurdem Theater. Doch was sich nun in Baltimore ereignete, lässt selbst Hollywoods Drehbuchautoren staunend zurück.
Ein Mann, dessen größtes Verbrechen offenbar darin bestand, einen Gerichtstermin zu verschlafen, wurde von einem Polizisten gejagt – und zwar nicht etwa mit der typischen Sirene und einer höflichen Aufforderung zum Stehenbleiben, sondern mit einem SUV, der sich eher wie ein Panzer auf Speed verhielt. Das Video der Szene verbreitete sich im Netz in Windeseile – und sorgt seither für Fassungslosigkeit, Empörung und jede Menge ungewollte Komik.
Vom Schlafmuffel zum Staatsfeind
Was war passiert? Ein Bürger, der offenbar weder Drogenbaron noch Serienverbrecher, sondern schlicht ein Mann mit einer Vorliebe für Terminschwäche war, hatte einen Gerichtstermin verpasst. Im amerikanischen Strafverfolgungssystem reicht das manchmal schon, um auf der „To-Do-Liste“ der Polizei ganz nach oben zu rutschen – direkt zwischen „bewaffneter Raubüberfall“ und „gefährlicher Fahrradfahrer ohne Helm“.
Doch an diesem Tag sollte die bürokratische Routine zur absurden Jagd werden. Der Mann wird gesichtet, ein Streifenwagen nimmt die Verfolgung auf – zunächst ganz normal. Doch als der Beschuldigte offenbar beschließt, lieber zu Fuß weiterzumachen, kippt das Szenario von einem Verwaltungsakt in eine Szene, die an Fast & Furious: Baltimore Drift erinnert.
Die Szene: Asphalt, Adrenalin und Absurdität
Das Video, das inzwischen millionenfach aufgerufen wurde, zeigt, wie der Polizist den Flüchtenden mit einem SUV über Gehwege, Wiesen und Bordsteine hinweg verfolgt – während der Mann in panischer Hast versucht, nicht unter die Räder zu kommen. Man könnte denken, hier laufe ein Einsatz gegen einen bewaffneten Bankräuber – doch nein, es handelt sich um einen Mann, der einen Brief vom Gericht nicht geöffnet hat.
Ein Beobachter beschreibt die Szene mit bitterem Humor: „Der Typ rennt, als ginge es um sein Leben – und der Polizist fährt, als ginge es um die Oscar-Nominierung für ‘Beste Verfolgungsjagd in einer absurden Realität’.“
Die Bilder zeigen deutlich: Während der Mann flüchtet, beschleunigt der SUV mehrfach, kurvt gefährlich nah an ihm vorbei, touchiert fast einen Zaun – und bremst erst, als klar wird, dass alles gefilmt wird.
Baltimore reagiert – zwischen Empörung und Ratlosigkeit
Selbst der Bürgermeister und der Polizeichef zeigen sich erschüttert. Der Bürgermeister erklärte, „so etwas dürfe in unserer Stadt nicht passieren“. Eine bemerkenswerte Feststellung – weniger, weil sie falsch wäre, sondern weil sie offenbar nötig ist. Der Polizeichef wiederum sprach von einem „inakzeptablen Verhalten“, das „die Grundsätze des Dienstes untergräbt“. Eine elegante Umschreibung für das, was viele Bürger deutlicher formulieren: „Er hat den Typen fast überfahren, weil er verschlafen hat.“
Natürlich hat die Polizei sofort „interne Ermittlungen“ angekündigt – jene mysteriöse Blackbox amerikanischer Bürokratie, aus der selten mehr herauskommt als ein „Wir haben alle Beteiligten befragt, und es war ein Missverständnis“.
Wenn Kontrolle zum Karikaturgerät wird
Der Fall steht exemplarisch für ein Problem, das längst größer ist als ein SUV auf Abwegen: den Verlust jedes Maßes im Umgang mit Macht. Was einmal mit dem Motto „to protect and serve“ begann, erinnert heute in vielen Städten an eine Realityshow namens „Überreagieren für Anfänger“.
Polizisten, die einst als Schutzengel des Bürgers galten, wirken immer häufiger wie schlecht ausgebildete Stuntmen mit Dienstmarke. Und das Internet tut sein Übriges: Jeder Einsatz wird zur potenziellen viralen Sensation. Vielleicht, so könnte man zynisch anmerken, jagte der Beamte den Mann gar nicht aus Wut – sondern aus dem unbewussten Wunsch, endlich ins Fernsehen zu kommen.
Der Polizist, das SUV und die Moral von der Geschicht’
Während die Justiz prüft, ob hier ein Verstoß gegen Dienstvorschriften oder schlicht gegen den gesunden Menschenverstand vorliegt, feiert das Internet bereits die Meme-Version des Vorfalls: Ein Clip zeigt den Polizisten mit Sonnenbrille und der Bildunterschrift: „Wenn du zu spät kommst, aber das Gericht wartet nicht.“ Ein anderer stellt das Ganze als Werbespot dar: „Ford – für alle, die Gerechtigkeit auf der Überholspur wollen.“
Und so wird aus einer beängstigenden Szene wieder einmal eine satirische Miniatur der amerikanischen Sicherheitskultur. Ein Land, in dem man wegen eines verpassten Termins nicht bloß einen Brief, sondern gleich einen Geländewagen hinter sich her hat.
Wenn die Polizei mehr PS als Perspektive hat
Der Fall aus Baltimore ist tragikomisch, grotesk und erschreckend zugleich. Er zeigt, wie schnell Ordnung in Überreaktion umschlagen kann – und wie absurd es wird, wenn Macht mehr beschleunigt als nachdenkt.
Denn in einer Gesellschaft, in der ein Polizist mit SUV auf einen Fußgänger losgeht, weil dieser den Kalender nicht im Blick hatte, ist die Grenze zwischen „Rechtsstaat“ und „Raserei“ längst verwischt. Oder, um es mit dem bitteren Sarkasmus des Internets zu sagen:
„In Baltimore kann man zwar nicht über rote Ampeln gehen – aber man kann überfahren werden, wenn man einen Termin verpasst.“