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Merz trifft Erdogan – Zwischen Bosporus, Beton und beidseitiger Beratungsresistenz
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Es sollte ein Staatsbesuch der Hoffnung werden. Friedrich Merz, frisch gebügelter Bundeskanzler mit strategischer Mission, reist nach Ankara, um „die deutsch-türkische Partnerschaft zu vertiefen“. Ein Satz, den man sich in der Diplomatie wie ein Multitool bereithält – universell einsetzbar, egal ob es um Menschenrechte, Waffenexporte oder die Frage geht, wer beim Staatsbankett zuerst das Dessert bekommt.
Doch schon beim Betreten des Präsidentenpalastes wird klar: Das wird kein Wellnessbesuch. Recep Tayyip Erdogan empfängt den Kanzler mit jener Miene, die irgendwo zwischen Sultan, Schuldirektor und strenger Vaterfigur pendelt.
Der Auftakt: Vom Protokoll zur Provokation
Noch bevor das erste Baklava serviert wird, ist das politische Klima frostiger als der Kühlschrank im Kanzleramt. Merz versucht, staatsmännische Wärme zu verbreiten: „Wir wollen unsere strategische Partnerschaft ausbauen.“
Erdogan nickt höflich – eine Geste, die in seiner Körpersprache ungefähr so viel bedeutet wie ein „Ja, ja, red nur weiter“. Dann, auf die unvermeidliche Frage zum Gaza-Krieg, zeigt sich, dass diese Partnerschaft etwa so belastbar ist wie ein Ikea-Regal aus dem Ausverkauf.
Merz bleibt bei seiner Linie: Deutschland stehe fest an der Seite Israels. Punkt. Keine Fußnoten, kein Zögern. Erdogan dagegen zieht den rhetorischen Säbel: Er spricht von „Genozid“, „Hunger“ und „Unterdrückung“.
Die Dolmetscher geraten ins Schwitzen, der PR-Berater im Hintergrund googelt panisch: „Wie beendet man höflich eine diplomatische Kernschmelze?“
Zwei Männer, zwei Welten
Hier also der westlich-konservative Jurist Merz – karg, nüchtern, fest an das Regelwerk des internationalen Rechts glaubend. Dort Erdogan – ein Mann, der Regeln vor allem als Werkzeuge versteht, um sie später nach Bedarf zu biegen.
Merz spricht von Selbstverteidigung Israels, vom Holocaust, von der Verantwortung Deutschlands. Erdogan kontert mit Empörung, mit Pathos, mit der moralischen Wucht eines Politikers, der gleichzeitig Richter, Staatsanwalt und Prophet in Personalunion ist.
Und irgendwo dazwischen sitzt ein türkischer Journalist, der sich fragt, ob er Zeuge eines Staatsbesuchs oder einer besonders schlecht geprobten politischen Stand-up-Show geworden ist.
Der Kanzler, der keine Komödie wollte
Merz versucht, Haltung zu bewahren. Sein Gesicht wirkt wie in Marmor gemeißelt, seine Stimme bleibt ruhig. Nur seine Augen verraten kurz jenen Moment innerer Resignation, den jeder Lehrer kennt, wenn der Schüler zum dritten Mal die Schulordnung mit der Bibel verwechselt.
„Die Hamas hätte die Geiseln freilassen müssen. Dann wäre der Krieg vorbei gewesen“, sagt Merz. Erdogan lehnt sich zurück, als hätte er gerade einen besonders schlechten Witz gehört: „Die Hamas hat keine Atomwaffen, Herr Kanzler.“
Ein Satz, der so klingt, als wolle man einem Feuerwehrmann erklären, dass Feuer ja nur heiß ist, wenn man es anfässt.
Menschenrechte auf der Ersatzbank
Während das Blitzlichtgewitter nachlässt, kommt das zweite große Thema auf den Tisch: Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Merz wagt sich vorsichtig vor: „Wir sorgen uns um die Unabhängigkeit der Justiz.“ Erdogan lächelt milde, was bei ihm meist bedeutet, dass jemand demnächst politisch verschwindet.
„Wer die Justiz mit Füßen tritt, muss die Konsequenzen tragen“, erklärt er, als sei das Haftbefehl und Lebensweisheit in einem.
Gemeint ist der inhaftierte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu – populär, charismatisch, und damit automatisch gefährlich. Seit Monaten sitzt er ohne Anklage in Untersuchungshaft, was Erdogan als „Zeichen funktionierender Demokratie“ bezeichnet.
Merz nickt steif, vermutlich innerlich schreiend. Außenpolitik ist eben auch Theater – mit ihm als tragischem Nebendarsteller in Erdogans Solo-Show.
Wenn Realpolitik an der Realität scheitert
Nach außen betont Merz weiter, wie wichtig die Türkei als „Partner in der Region“ sei. In Wahrheit dürfte er sich fühlen wie jemand, der gerade versucht, in einem brennenden Haus eine Brandschutzordnung vorzulesen.
Die Themenliste seines Besuchs liest sich wie ein Witz mit politischer Pointe: – Friedensbemühungen im Gaza-Krieg – Ukraine-Krieg – Rüstungskooperation – Rückführung von Migranten – Menschenrechte
Es ist, als wolle jemand auf einer Geburtstagsparty gleichzeitig über Steuerrecht, Klimakrise und Schwiegermütter diskutieren – und das mit Erdogan.
Der große Showdown
Bei der abschließenden Pressekonferenz erreicht das Schauspiel seine dramaturgische Perfektion: Merz spricht von Kooperation, Erdogan von Ungerechtigkeit, und beide glauben, sie hätten die moralische Hoheit.
Die Dolmetscher tun ihr Möglichstes, doch irgendwann kippt das Ganze in pure Absurdität: „Deutschland steht fest an Israels Seite“, sagt Merz. „Israel steht auf Gazas Nacken!“, ruft Erdogan. Applaus? Betretenes Schweigen? Irgendwas dazwischen.
Das Treffen endet mit einer Presseerklärung, in der beide Seiten das Wort „Freundschaft“ benutzen, vermutlich aus Reflex.
Bosporus Blues mit Betonblick
Merz wollte Annäherung, Erdogan wollte Aufmerksamkeit – beide haben bekommen, was sie wollten, nur anders. Der eine steht nun als unbequemer Moralprediger da, der andere als unbeirrbarer Volkstribun. Und irgendwo zwischen den Welten, zwischen Europa und Asien, zwischen Vernunft und Volksempörung, bleibt ein diplomatischer Scherbenhaufen zurück – fein säuberlich beschriftet mit dem Etikett: „Partnerschaft mit Herausforderungen“.
Oder, um es in Erdogans Worten zu sagen: „Wir sind uns einig – dass wir uns nicht einig sind.“