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Das Stadtbild und die Sprachakrobatik – Wenn Politik zur Wortturnhalle wird
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Berlin, die Hauptstadt des politischen Dauerdramas, hat mal wieder einen neuen Akt eröffnet. Diesmal nicht im Bundestag, sondern in Friedrichshain-Kreuzberg – jener Ecke der Republik, in der man sich gleichzeitig für Umweltschutz, Antifaschismus und die richtige Fermentierung von Sojamilch engagiert. Der dortige Grünen-Kreisverband hat nämlich beschlossen, Kanzler Friedrich Merz anzuzeigen. Nicht wegen Steuerhinterziehung, Lobbyismus oder des Verdachts, heimlich die Faxgeräte der CDU zu horten – nein, wegen Volksverhetzung.
Der Anlass: Merz’ nun berühmt-berüchtigter Satz über „Probleme im Stadtbild“, die durch „Rückführungen“ zu lösen seien. Eine Formulierung, so geschickt gewählt, dass selbst ein Gebrauchtwagenhändler beim Wort „vertrauenswürdig“ rot werden würde.
Die Kreuzberger Grünen sehen darin den Beweis für eine „rassistische Denkfigur“ – ein Begriff, der nach Feuilleton klingt, aber in diesem Fall erstaunlich handfest ist. Denn, so die Begründung: Wer von einem „Problem im Stadtbild“ spricht und gleichzeitig Rückführungen fordert, meint offenbar nicht marode Laternen, Kaugummiflecken oder unmotivierte Radwege – sondern Menschen. Menschen, die zufällig anders aussehen, anders heißen oder im Supermarkt vielleicht Couscous statt Bratkartoffeln kaufen.
Die Semantik des Schauderns
Merz selbst dürfte die Aufregung vermutlich gelassen sehen – schließlich gilt Sprachschärfe in der CDU inzwischen als politisches Fitnessprogramm. Der Satz habe, so betonte er, nichts mit Rassismus zu tun, sondern lediglich mit der „Sichtbarkeit von Problemen“. Eine Formulierung, die ungefähr so konkret ist wie „die gefühlte Luftfeuchtigkeit der Gesellschaft“.
Dass seine Worte ausgerechnet in einer Zeit gefallen sind, in der Integration, Migration und Sicherheit wieder einmal als Schlagworte im Dauerlauf durch die Talkshows sprinten, ist natürlich kein Zufall. Merz, das altgediente Raubtier der politischen Rhetorik, weiß genau, wie man einen Satz so formuliert, dass er gleichzeitig Applaus von besorgten Bürgern und Kopfschütteln in den Redaktionen auslöst. Ein Meister der zweideutigen Eindeutigkeit.
Friedrichshain-Kreuzberg schlägt zurück
Und so kam es, wie es kommen musste: Im Bioladenviertel der Republik, wo selbst Kiezkatzen wahrscheinlich genderneutral angesprochen werden, entschied man: Jetzt reicht’s! Eine Anzeige muss her – wegen Volksverhetzung. Der Kreisverband ließ wissen: „Diese Formulierung markiert Menschen mit Migrationshintergrund als Störfaktor im öffentlichen Raum.“
Ein Satz, der im Kreuzberger Kontext fast schon staatsmännisch klingt. Schließlich ist Friedrichshain-Kreuzberg ein Ort, an dem die Mülltrennung manchmal ernster genommen wird als die Außenpolitik. Doch hier geht es um ein Prinzip: Wer Sprache vergiftet, kriegt einen Paragrafen serviert.
Die Grünen werfen Merz vor, mit seinen Aussagen gezielt Ressentiments zu schüren. Kurz gesagt: Der Kanzler gießt Benzin ins Feuer, ruft dann „Feuerwehr!“ und posiert beim Löschen für die Kameras.
Die CDU – empört über die Empörung
Aus der Union kommen erwartungsgemäß empörte Töne. Von „absurdem Aktivismus“ ist die Rede, von „linker Hysterie“ und – natürlich – von „Meinungsfreiheit“. Letztere ist in CDU-Kreisen inzwischen zu einer Art rhetorischem Allheilmittel geworden: Man darf alles sagen, solange man danach „man wird ja wohl noch sagen dürfen“ hinzufügt.
Dabei geht es gar nicht mehr um Inhalt, sondern ums Prinzip: Die Grünen sind empört über Merz, Merz empört sich über die Grünen, und irgendwo dazwischen steht der Wähler und fragt sich, warum niemand über bezahlbare Mieten spricht.
Satire oder Realität? Beides!
Was besonders faszinierend ist: Diese Debatte über das „Stadtbild“ hat mittlerweile selbst ein Teil des Stadtbildes Berlins übernommen. Man diskutiert in Cafés, auf Twitter, in Parlamenten und vermutlich demnächst auch in Yoga-Workshops über die Frage, ob Sprache schon Diskriminierung ist oder nur deren Vorstufe.
Das Ganze wirkt ein bisschen wie eine Theaterprobe, bei der alle mitspielen, aber keiner das Stück kennt. Merz liefert den provozierenden Monolog, die Grünen den moralischen Zwischenruf, und das Publikum klatscht, weil es das so gewohnt ist.
Dabei könnte man die Angelegenheit auch einfach mal nüchtern betrachten: Wenn der Regierungschef eines Landes von einem „Problem im Stadtbild“ spricht und seine Lösung „Rückführung“ heißt, dann ist das nicht bloß ein sprachlicher Ausrutscher – das ist politische Signalgebung mit Nebelmaschine.
Deutschland, dein Stadtbild
Das Ergebnis: Die einen sehen in Merz den unbeirrbaren Realisten, der endlich ausspricht, was viele denken. Die anderen sehen in ihm einen kalten Zyniker, der mit Worten zündelt. Und die Mitte? Die guckt verwirrt und murmelt: „Vielleicht hätten wir wirklich einen Stadtbild-Gipfel gebraucht.“
So wird aus einem Satz eine Staatsaffäre, aus einer Anzeige eine Schlagzeile und aus dem Stadtbild ein Spiegelbild – einer Gesellschaft, die sich lieber über Begriffe streitet als über Probleme.