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“Focus on the Road” – Europas Kampf gegen den digitalen Sekundenschlaf

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“Focus on the Road” – Europas Kampf gegen den digitalen Sekundenschlaf

Wenn der Mensch lieber Nachrichten liest als Straßenschilder

Berlin / Ludwigshafen / Irgendwo auf der A3. Eine Sekunde Ablenkung. 14 Meter Blindflug. Ein Handy, das vibriert. Das ist kein Thriller – das ist Alltag. Deshalb startet Europas Polizei jetzt ihre große Erziehungswoche mit dem verheißungsvollen Titel „Focus on the Road“. Ein Motto, das so klingt, als wäre es von einem besonders gestressten Navi erfunden worden, das schon 300-mal „Bitte wenden“ gesagt hat.

Doch die Mission ist ernst: Für sieben Tage soll kontrolliert werden, ob Autofahrer, Radler und Lkw-Piloten etwas tun, was sie längst verlernt haben – schauen, wo sie hinfahren.

Die neue Epidemie heißt: digitale Selbstüberschätzung

Das Polizeipräsidium Rheinpfalz bringt es dramatisch auf den Punkt:

„Wer bei Tempo 50 nur eine Sekunde aufs Smartphone schaut, fährt 14 Meter im Blindflug.“

14 Meter – das ist ungefähr der Abstand zwischen Erkenntnis und Katastrophe, zwischen „Ich hab’s gleich geschickt“ und „Airbag geöffnet“. Trotzdem: Der moderne Mensch riskiert lieber sein Leben, als die WhatsApp-Gruppe „Grillabend 2025🔥“ eine Minute unbeantwortet zu lassen.

Es ist ein psychologisches Phänomen: Wir haben gelernt, dass unser Auto fast alles für uns tut – Abstand halten, bremsen, lenken, parken. Nur denken müssen wir noch selbst. Und genau da liegt das Problem.

Von der Straße in den Feed – und zurück

Die Kontrollwoche wird europaweit von Roadpol organisiert – dem Netzwerk der Verkehrspolizeien der EU. Das klingt, als sei man endlich geeint im Kampf gegen die wahre Bedrohung Europas: das Smartphone in freier Wildbahn. Dabei ist der Gegner nicht leicht zu fassen. Denn der Mensch hat gelernt, das Handy zu benutzen, ohne hinzusehen – Daumen hoch, Blick geradeaus, Moral unten.

Im vergangenen Jahr stellte die Landespolizei Sachsen-Anhalt 120 Verstöße fest. 120! Das klingt beeindruckend – bis man merkt, dass das weniger ist als die Zahl der TikTok-Videos, die in einer Minute hochgeladen werden, während jemand Auto fährt.

Manche Autofahrer tippen Mails, andere drehen Selfies, manche streamen Serien. Und dann gibt es die Königsdisziplin: Menschen, die sich per Handy vom Navi sagen lassen, wo sie abbiegen sollen – und sich dabei verirren, weil sie die Stimme gleichzeitig auf Instagram live kommentieren.

Deutschland fährt – aber wohin eigentlich?

Laut Statistik starben 2024 in Deutschland 2.780 Menschen im Straßenverkehr. Das ist die drittniedrigste Zahl seit 1953 – ein Erfolg, der vermutlich darauf beruht, dass viele Fahrer ohnehin lieber stehen, um ihren Akku zu laden. Trotzdem gilt Ablenkung inzwischen als zweithäufigste Unfallursache – direkt hinter Geschwindigkeit und noch knapp vor der Kombination aus „mangelnder Intelligenz und Spotify-Playlist“.

Verkehrsforscher sagen: Ablenkung ist das neue Rasen. Polizisten sagen: Ablenkung ist das neue Trinken. Und Autofahrer sagen: „Sorry, war nur kurz auf Maps.“

Die Polizei ruft zur Vernunft – das Internet zur Ablenkung

Eine Woche lang also patrouillieren Beamtinnen und Beamte, um das zu bekämpfen, was man nicht sehen kann: die kurzzeitige digitale Amnesie des modernen Menschen. Wer erwischt wird, zahlt – und bekommt obendrein noch einen erhobenen Zeigefinger, der sich gewaschen hat. „Wir wollen Bewusstsein schaffen“, heißt es. Das sagen dieselben Leute, die wissen, dass Autofahrer inzwischen sogar bei Verkehrskontrollen aufs Handy schauen, um zu googeln, wie man mit Polizisten redet.

In den sozialen Netzwerken wird die Aktion schon diskutiert – ironischerweise meist von Leuten, die gerade im Auto sitzen. Unter Hashtags wie #FocusOnTheRoad oder #IchKannBeides werden Videos geteilt, die zeigen, wie man mit einem Handy in der Hand das Handyverbot kritisiert.

Verkehrspädagogik trifft Realität

Die Polizei appelliert: „Konzentrieren Sie sich auf die Straße!“ Ein Satz, der ungefähr so viel Wirkung hat wie: „Bitte nicht über die Wiese laufen“ auf einem Festival. Denn die Menschen hören nicht auf Vernunft – sie hören auf Push-Mitteilungen.

„Ihre Bestellung ist unterwegs“ erzeugt mehr Adrenalin als jedes Tempolimit. Und wer in der Stadt beim Fahren eine Sekunde aufs Display schaut, legt 14 Meter im Blindflug zurück – genug, um einmal durch die halbe Fußgängerzone von Ludwigshafen zu segeln.

Radfahrer sind da kaum besser: Sie fahren freihändig, Kopfhörer im Ohr, Handy am Lenker, und wundern sich, wenn plötzlich ein Auto im Weg ist. Die Polizei nennt das „multitasking“, der Arzt nennt es „kompatibel mit Krankenhausaufenthalt“.

Wenn Moral und Realität kollidieren

„Wir wollen Leben retten“, sagt Roadpol-Koordinatorin Elise Dubois. Ein edles Ziel – aber es klingt in etwa so optimistisch, wie wenn ein Lehrer vor der Pause sagt: „Und jetzt alle Handys weg!“

Fakt ist: Kein Mensch glaubt, dass er selbst gemeint ist. Die anderen sind unaufmerksam. Die anderen tippen zu viel. Und so schaut jeder zweite Fahrer auf sein Smartphone, während er sich darüber aufregt, dass der vor ihm gerade auf sein Smartphone schaut.

Das ist der moderne Straßenverkehr: Ein digitaler Spiegelkorridor aus Heuchelei und 4G.

Ein bisschen Satire, ein bisschen Wahrheit

Natürlich hat die Polizei recht. Ablenkung tötet. Aber sie bekämpft damit nicht nur ein Verhalten – sondern eine Kultur. Die Kultur des ständigen „Nur-kurz-Schauens“, des „Ich-bin-nur-schnell-dran“, des „Ich-check-nur-die-Mail“. Wir sind eine Gesellschaft, die lieber tippt als denkt – selbst beim Überholen.

Vielleicht wird man in hundert Jahren sagen:

„Früher starben Menschen bei Duellen, heute bei Doppelklicks.“

Die Straße ist kein Feed

Am Ende bleibt die Erkenntnis: Der Mensch ist biologisch nicht dafür geschaffen, gleichzeitig zu fahren, zu chatten, zu posten und zu leben. Er tut es trotzdem – weil sein Ego größer ist als seine Reaktionszeit.

Also, liebe Autofahrerinnen und Autofahrer: Wenn das Handy klingelt, die Nachricht blinkt und der Finger juckt – denken Sie daran: Der Bildschirm kann warten. Der Baum nicht.

Oder, um es mit dem Polizeimotto zu sagen: „Focus on the Road“ – denn die Straße hat kein Update, aber jede Menge Bugs.