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Macrons Karussell der Kabinette – Frankreich dreht sich schneller als ein Crêpe auf Speed
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Ein Land zwischen Revolutionstradition und Regierungsroulette
Paris. Frankreich hat ein neues Lieblingssportereignis: den Premierminister-Weitwurf. Kaum ist einer gelandet, wird schon der nächste in den Élysée-Palast katapultiert – mit Schwung, Pathos und einer Halbwertszeit, die kaum für einen Pressezyklus reicht. Der jüngste Fall: Sébastien Lecornu, der fünfte Regierungschef seit 2022 und der wohl erste Premierminister, dessen Amtszeit kürzer war als ein französisches Bahnstreikintervall.
Erst Anfang September feierlich ernannt, hat er nun nach vier Wochen und einem halben Croissant im Amt die Brocken hingeschmissen. „Die Bedingungen für eine stabile Regierung seien nicht erfüllt“, erklärte er höflich. Übersetzt: „Ich wollte regieren, aber niemand wollte mitmachen.“
Der Tanz auf dem Vulkan – mit Protokoll und Papierturm
Was wie eine Personalie klingt, ist in Wahrheit das politische Äquivalent eines Dauerfeuers. Frankreich erlebt derzeit die seltene Kunst, instabile Regierungen auf stabilem Niveau zu halten.
Lecornu, 39, galt als frischer Hoffnungsträger mit Verwaltungstalent und Charme eines Energieberaters. Macron lobte ihn als „Brückenbauer“. Doch schon am Tag nach seiner Kabinettsvorstellung stellten sich alle Beteiligten auf die Brücke – und sägten gleichzeitig an ihr.
Denn Frankreichs Parteienlandschaft gleicht einer Tarte Tatin: zu heiß, zu klebrig und immer kurz vor dem Umkippen. Die Linken wollen den Sozialstaat retten, die Rechten das Vaterland, die Mitte ihre Glaubwürdigkeit – und keiner will Kompromisse, weil das ja nach „Kohabitation“ riecht, jenem französischen Albtraum, bei dem Präsident und Premier sich die politische Wohnung teilen müssen, aber über alles streiten: Steuerpolitik, Außenpolitik, Zahnpastatuben.
Kabinett Lecornu: eine Reality-Show in drei Akten
Die Komödie begann mit der Vorstellung der neuen Ministerliste – einer Mischung aus Altbewährtem, Altbelastetem und Altbekanntem. Innenminister Bruno Retailleau, selbst Vorsitzender der konservativen Republikaner, war empört: Seine Partei bekam nicht genug Posten, und der Lieblingsgegner Bruno Le Maire – einst Finanzminister, nun Verteidigungsminister – bekam gleich zwei Ressorts: Schuld und Verantwortung.
Retailleau verlangte ein Drittel der Ministerposten. Macron bot ein Viertel. Lecornu wollte vermitteln – und trat zurück, bevor jemand auf die Idee kam, ihn selbst durchzuzählen.
Die Szene hätte Molière nicht besser schreiben können: Ein Premierminister, der Kompromisse sucht, in einem Land, das Kompromisse als „deutsche Krankheit“ betrachtet.
Frankreichs Regierung – ein Revolving Door der Republik
Fünf Premierminister in zwei Jahren. Man könnte meinen, Macron sammle sie wie Panini-Bilder. Er hatte es ja mal groß angekündigt: Er wolle „eine neue politische Kultur“ schaffen. Das ist ihm gelungen – es ist die Kultur des Dauerwechsels. Die Regierung ist inzwischen kein Kollegium mehr, sondern eine Casting-Show für politische Leidensfähigkeit.
Bayrou war der „Sparfuchs“, der vom Parlament gestürzt wurde, weil er sparen wollte (in Frankreich fast Hochverrat). Borne war die „Pragmatikerin“, die an der Realität zerbrach. Lecornu sollte der „Brückenbauer“ werden – und fand sich unter den Trümmern des Kompromissversuchs wieder.
Macron selbst steht nun als Präsident einer Bricolage-Republik da, die in Dauerschleife das gleiche Lied spielt: „La vie en Krach“.
Macron – der Mann, der zu viel Präsident war
Der Präsident, einst von den Medien liebevoll „Jupiter“ genannt, wirkt mittlerweile eher wie ein erschöpfter Jongleur im Regen, der versucht, brennende Aktenordner und fallende Umfragewerte gleichzeitig in der Luft zu halten. Sein Gesichtsausdruck bei der Rücktrittserklärung Lecornus: eine Mischung aus müder Souveränität und dem stillen Wunsch nach einem Sabbatjahr.
Macron wollte Frankreich modernisieren, digitalisieren, stabilisieren – und schuf stattdessen das erste Land, das sich selbst im Vierteljahresrhythmus reboottet. Während Deutschland über Bürokratie jammert, perfektioniert Frankreich die politische Version davon:
Ein Ministerium für Unregierbarkeit, mit Macron als Chef de Mission.
Opposition à la française – das Theater des Widerstands
Natürlich bleibt die Opposition nicht still. Jean-Luc Mélenchon, Chef der Linkspopulisten, fordert Macrons Absetzung und schmettert im Parlament leidenschaftlich:
„Wir wollen Debatte! Wir wollen Demokratie! Wir wollen – Mikrofonzeit!“
Marine Le Pen wiederum fordert Neuwahlen. Nicht, weil sie plötzlich Regieren gelernt hätte, sondern weil sie hofft, dass Macron endlich das tut, was sie seit Jahren ruft: „Abtreten!“ Die Sozialisten versuchen währenddessen, die moralische Mitte zu besetzen – also den Ort, an dem keiner zuhört, aber alle nicken.
Frankreichs Finanzkatastrophe: Trikolore auf Pump
Während die Regierung spielt „Reise nach Jerusalem“, türmen sich die Schulden. 3,3 Billionen Euro, das höchste Minus in der EU. Lecornus Vorgänger Bayrou warnte, das sei die „letzte Haltestelle vor dem Abgrund“. Aber Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn es nicht am Abgrund noch eine Picknickdecke ausbreiten würde.
Die Menschen protestieren gegen Sparmaßnahmen, als wäre Sparen ein Angriff auf die nationale Würde. Die Folge: Kein Geld, keine Mehrheit, keine Geduld. Oder, wie der französische Philosoph Pascal gesagt haben könnte: „Ich denke, also kündige ich.“
Die Lösung? Ein weiterer Premier!
Macron muss jetzt zum sechsten Mal in zwei Jahren einen neuen Premier finden. Er könnte würfeln, eine Lostrommel aufstellen oder ChatGPT fragen – schlechter kann’s kaum laufen.
Vielleicht wird’s jemand mit Erfahrung: der Gärtner des Élysée, ein pensionierter Philosoph oder die Praktikantin, die wenigstens bleibt, bis der Kaffee leer ist.
Eines ist sicher: Der nächste Premier beginnt mit großem Pathos, redet von „Neuanfang“, „Dialog“ und „Vertrauen“ – und reicht nach drei Monaten den Rücktritt ein mit den Worten: „Ich habe versucht, das Unmögliche möglich zu machen. Es blieb unmöglich.“
Vive la Rotation!
Frankreich ist wieder da, wo es immer ist: mitten in einer Krise – aber mit Stil. Während andere Länder Krisen vermeiden, verwandeln die Franzosen sie in Hochkultur. Macron steht auf den Trümmern seiner Regierung, salutiert dem nächsten Rücktritt und murmelt leise:
„L’État, c’est qui nochmal?“
So dreht sich das politische Karussell weiter, schneller als ein Pariser Stromzähler – und ganz Europa schaut gebannt zu. Denn eines ist sicher: In Frankreich fällt die Regierung regelmäßig. Aber niemals – niemals – die Eleganz. während Premierminister herausschleudern und das Publikum „Encore!“ ruft?