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Frankreichs Regierungskrise: Der Rücktritt, der keiner war – oder: Wie Premier Lecornu das Chaos elegant zu moderieren versucht, das er selbst mitverursacht hat

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Frankreichs Regierungskrise: Der Rücktritt, der keiner war – oder: Wie Premier Lecornu das Chaos elegant zu moderieren versucht, das er selbst mitverursacht hat

Paris, Hauptstadt der politischen Dauerdramen. Frankreich hat schon vieles hervorgebracht: die Revolution, den Existenzialismus, das Baguette. Und nun – die Kunst, eine Regierung zu stürzen, ohne sie wirklich zu verlieren. Premierminister Sébastien Lecornu, erst vor wenigen Wochen ernannt und schon wieder zurückgetreten, ist derzeit wohl der dienstälteste Interimsrücktritt Europas. Und das will etwas heißen.

Bis heute Abend darf er also noch retten, was längst in Flammen steht: eine Regierung, die nie richtig angefangen hat, und ein Parlament, das so gespalten ist, dass man die Risse vom Eiffelturm aus sehen könnte. Lecornu gibt sich kämpferisch, fast euphorisch. "Ich bin zuversichtlich, dass wir das Parlament nicht auflösen müssen", sagte er, und man hatte fast den Eindruck, er glaube es selbst.

Ein Premier auf Abruf – Frankreich im Dauerzustand „fast stabil“

Lecornu hat derzeit die wohl undankbarste Aufgabe Europas: Er soll Kompromisse schließen, wo keine Kompromisskultur existiert, und Einigkeit schaffen, wo sich selbst die Kaffeemaschine im Élysée-Palast parteipolitisch positioniert hat.

Seine Mission klingt edel: Er will den Haushalt 2026 retten, das Defizit senken und Frankreich vor Neuwahlen bewahren. Was in der Praxis bedeutet: Er versucht, ein sinkendes Schiff mit einem goldenen Eimer zu lenzen – während die Mannschaft darüber streitet, ob das Wasser links oder rechts reinkommt.

Dabei gibt sich Lecornu betont staatsmännisch. "Ich habe verstanden, dass alle Parteien wollen, dass wir einen Haushalt verabschieden", erklärte er. Das ist in etwa so erhellend, wie wenn ein Feuerwehrmann nach einem Großbrand feststellt, dass „alle Beteiligten offenbar das Feuer nicht so toll fanden“.

Macron – der Präsident, der einfach nicht aufgeben kann

Während Lecornu noch am politischen Klebeband arbeitet, steht über allem die schillernde Figur Emmanuel Macron – der Mann, der sich einst als „Jupiter-Präsident“ sah, inzwischen aber eher als Meteorologe der Krisen fungiert. Er beobachtet das politische Tiefdruckgebiet von oben, nickt, spricht von „Verantwortung“ und hofft, dass der Donner nachlässt, bevor wieder ein Premier aus dem Amt gespült wird.

Macron hat in nur zwei Jahren mehr Regierungschefs verschlissen als Frankreichs Fußballnationalteam Trainer in einem Jahrzehnt. Jeder neue Premier soll „die Wende bringen“ – und bringt am Ende nur neue Rücktrittsreden. Man munkelt, der Élysée lasse mittlerweile Bewerbungsgespräche für Premierminister als Massenveranstaltung ablaufen. Ein Teilnehmer berichtete: „Man bekommt Croissants, einen Notizblock und die Warnung, dass der Job keine Zukunft hat.“

Ein Parlament wie ein Familienstreit beim Sonntagsessen

Das französische Parlament gleicht inzwischen einer weihnachtlichen Familienfeier, bei der alle zu spät kommen, keiner zuhört und der Gastgeber schon überlegt, die Polizei zu rufen. Die Sozialisten wollen reden, aber nicht zustimmen. Die Republikaner wollen Posten, aber keine Verantwortung. Die Linkspopulisten von Mélenchon fordern den Sturz Macrons, während sie gleichzeitig erklären, dass sie sich eigentlich gar nicht mit ihm beschäftigen wollen.

Und Lecornu? Der rennt von Fraktion zu Fraktion wie ein diplomatischer Pfadfinder auf Speed. Er will „Annäherung“ erreichen – ein schönes Wort, das in Frankreich meist kurz vor dem nächsten Misstrauensvotum fällt.

Er verhandelt mit Sozialisten, die seit Jahren im politischen Exil leben, mit Grünen, die lieber über Windräder als über den Haushalt sprechen, und mit Konservativen, die den Etat am liebsten durch Gebete ausgleichen würden.

„Ich bin zu Kompromissen bereit“, sagt Lecornu. „Wir nicht“, antwortet das Parlament.

Ein klassischer französischer Dialog.

Haushaltsdebatte oder kollektive Gruppentherapie?

Die Lage ist ernst: Ohne Einigung auf ein Budget kann Frankreich ab Januar nur noch per Notgesetz regiert werden. Das klingt dramatisch, ist aber nicht neu – die Franzosen sind mit Ausnahmezuständen fast so vertraut wie mit Rotwein. Allerdings: Diesmal geht es ums Geld, und das ist in Frankreich noch heiliger als die Trikolore.

Frankreichs Schuldenberg liegt bei rund 3,3 Billionen Euro, und jedes Jahr wird er liebevoll mit einem neuen Defizit geschmückt. Die Regierung nennt das „strategische Investitionen“, Ökonomen nennen es „Staatsverschuldung mit künstlerischem Anspruch“.

Und so verhandelt Lecornu in diesen Tagen nicht nur über Zahlen, sondern über Glauben. Über die Hoffnung, dass man 2026 noch irgendetwas finanzieren kann, das nicht schon längst auf Pump läuft – von der Rente über den TGV bis zur Büroklammer im Innenministerium.

Frankreich zwischen Pathos und Paradox

Während die Verhandlungen laufen, spekuliert halb Paris über Macrons nächste Schritte. Wird er das Parlament auflösen? Einen neuen Premier ernennen? Oder einfach die Verfassung neu interpretieren und sich selbst zum „geschäftsführenden Gottkaiser“ erklären? Alles scheint möglich. Macron ist schließlich der Mann, der Neuwahlen ausrief, um seine Position zu stärken – und sie prompt schwächte.

Doch diesmal weiß er: Eine weitere Wahl würde wohl nur eines beweisen – dass das französische Volk zwar gerne protestiert, aber ungern Verantwortung übernimmt. Und dass jede Regierung, egal welcher Farbe, spätestens nach drei Wochen im Dauerstreit versinkt.

Die große französische Konstante: das Chaos mit Charme

Frankreich steht damit einmal mehr an der Schwelle zwischen Staatskrise und Operette. Ein Premier, der zurücktritt, aber bleibt. Ein Präsident, der führt, aber nicht regiert. Und Parteien, die lieber in den Abgrund schauen, als aufeinander zu.

Doch das Ganze hat Stil. Denn selbst in der politischen Katastrophe bleibt Frankreich Frankreich – elegant im Scheitern, pathetisch im Untergang, charmant im Chaos.

Wenn Lecornu heute Abend tatsächlich eine Lösung findet, wäre das eine kleine Revolution. Wenn nicht, bleibt alles beim Alten – und das ist, ganz ehrlich, das französischste Ergebnis von allen.

Frankreich ist das einzige Land der Welt, das gleichzeitig im politischen Desaster steckt und dabei aussieht, als hätte es das so geplant. Während Lecornu noch hektisch Verhandlungen führt, putzt Macron sich schon die Jacke für das nächste Fernsehstatement. Und irgendwo in Paris kommentiert ein Bäcker die Lage treffender als jedes Parteipräsidium:

„Solange das Land keine Regierung hat, essen die Leute wenigstens mehr Croissants.“

Vive la crise! Denn wenn Frankreich eines perfektioniert hat, dann die Kunst, unterzugehen – mit Haltung.