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Macrons Marionettentheater – Lecornu jongliert mit Ministern, Misstrauen und Macronismus
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Frankreich, die Fünfte Republik – aber der 57. Neustart
Frankreich hat’s wieder geschafft. Nicht etwa, den Haushalt zu verabschieden, die Inflation zu senken oder den Bürgern den Glauben an Politik zurückzugeben. Nein – es hat mal wieder eine neue Regierung. Zum fünften Mal seit 2024.
Sébastien Lecornu, gerade frisch als Premier vereidigt, darf den Job nun erneut übernehmen. Er wirkt dabei ein bisschen wie der letzte Kandidat im französischen „Wer wird Premier?“, bei dem die Zuschauer schon wissen, dass auch er bald rausfliegt – nur noch nicht, in welcher Woche.
Die Franzosen nennen das „politische Dynamik“. Der Rest Europas nennt es „eine Reality-Show mit Haushaltsdebatte“.
Die Regierung à la Lecornu – halb Baguette, halb Buffet
Lecornu hat also seine Regierung vorgestellt. Ein buntes Sammelsurium aus Altpolitikern, Quereinsteigern und Leuten, die so neutral wirken, dass sie wahrscheinlich in Beige schlafen. Er hat alte Macronisten rekrutiert, ein paar Republikaner gezwungen und dazu noch ein paar „Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, was in Frankreich meistens heißt: Leute, die man schon mal im Fernsehen gesehen hat, aber keiner weiß, warum.
Die neue Regierung wirkt wie ein Potpourri aus dem politischen Restbestand: ein bisschen linke Nostalgie, ein Schuss neoliberale Härte, eine Prise Populismus – abgerundet mit einer Sauce aus Macronismus, jener geheimnisvollen politischen Soße, die gleichzeitig nach allem und nach nichts schmeckt.
Frankreich hat also wieder eine „Regierung der Öffnung“. Das heißt übersetzt: Man öffnet so lange nach allen Seiten, bis keiner mehr weiß, wo eigentlich die Tür war.
Der Haushalt – eine tragikomische Farce in drei Akten
Nun soll Lecornu den Haushalt durch das Parlament bringen. Eine Aufgabe, die in Frankreich ungefähr so beliebt ist wie Zahnarztbesuche ohne Betäubung.
Das Land steht mit einem Defizit da, das selbst Mario Draghi ins Schwitzen bringen würde, und muss sparen. Nur woran? An der Verteidigung? Geht nicht, NATO. An der Bildung? Macht man eh schon. An den Renten? Lieber nicht, das letzte Mal hat Paris gebrannt.
Und während Lecornu hektisch rechnet, demonstriert halb Frankreich gegen das Rechnen. Die Franzosen wollen einen Staat, der viel kostet, aber nichts verlangt – eine Art politisches All-inclusive-Hotel mit Streikrecht und Mindestlohn.
„Das Einzige, was zählt, ist das Interesse des Landes“, twittert Lecornu tapfer. Klingt gut, aber man wüsste gerne, welches Land er meint. Frankreich? Oder die kleine Parallelwelt im Élysée, in der Emmanuel Macron noch immer glaubt, seine Reformen seien beliebt?
Die Opposition – ein Orchester ohne Dirigent
Während Lecornu den Taschenrechner anschmeißt, stimmen die Oppositionsparteien ihre Misstrauens-Symphonie an.
Links ruft „Sozialabbau!“, rechts ruft „Machtmissbrauch!“, die Mitte ruft „Haltet bitte einfach alle mal die Klappe!“. Und irgendwo hinten schreit Jean-Luc Mélenchon noch immer, dass das alles eine neoliberale Verschwörung sei, während Marine Le Pen vorn lächelnd nickt – der seltene Moment, in dem Extreme sich einig sind.
Die Sozialisten stellen Bedingungen, als ginge es um einen Gebrauchtwagenkauf: „Rentenreform komplett stoppen, sonst Misstrauensantrag.“ Die Grünen schweigen und hoffen, dass sie keiner bemerkt. Und die Republikaner tun so, als wüssten sie nicht, dass einige von ihnen längst Minister geworden sind.
Frankreichs Parlament gleicht damit einem Theater, in dem jeder Akteur glaubt, er sei Hauptdarsteller – während das Publikum langsam den Saal verlässt.
Politologe Dreuil – der Therapeut der Republik
Der Politologe Dorian Dreuil diagnostiziert ein „nationales Psychodrama“. Ein treffender Ausdruck, denn Frankreich hat längst den Übergang von Demokratie zu Dauertherapie geschafft.
Die Symptome? Akute Koalitionsallergie, chronische Selbstüberschätzung und wiederkehrende Amnesie bezüglich eigener Wahlversprechen. Die Prognose? Unsicher – aber mit hoher Rückfallgefahr in Revolution.
Dreuil warnt:
„Wenn das so weitergeht, werden die Leute glauben, Demokratie funktioniert nicht mehr.“
Da könnte er recht haben. In Frankreich wird Demokratie mittlerweile als Showprodukt wahrgenommen – laut, teuer, und niemand weiß, wie’s endet.
Kompromisse – die französische Angststörung
Während in Deutschland Koalitionen mühsam, aber immerhin existieren, gilt in Frankreich das Wort „Kompromiss“ als Beleidigung. Ein Politiker, der sich auf einen Kompromiss einlässt, gilt als Verräter – oder schlimmer: als langweilig.
Frankreich liebt den Konflikt. Man demonstriert nicht gegen Ergebnisse, sondern gegen die Möglichkeit, dass etwas entschieden werden könnte. Wenn Lecornu also von „Zusammenarbeit“ spricht, klingt das für viele wie eine Drohung.
Es ist eine nationale Paradoxie: Ein Land, das ständig von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ spricht, aber schon bei Punkt drei regelmäßig ausrastet.
Lecornu – der Feuerwehrmann ohne Wasser
Der Premier selbst wirkt wie ein Mann, der weiß, dass er auf einem sinkenden Schiff steht – und trotzdem weiter rudert, weil Macron am Steuer bleibt. Er weiß: Wenn er scheitert, kommt der nächste. Und wenn der nächste scheitert, kommt wieder der gleiche.
Frankreichs Regierungsposten sind mittlerweile so drehfreudig wie ein Pariser Karussell. Man wechselt die Premierminister schneller als in Deutschland die Innenminister, und jeder verspricht das Gleiche: Stabilität. Reformen. Hoffnung. Nur: Der Satz „Wir schaffen das“ klingt in Frankreich längst nach Drohung.
Neuwahlen – oder: Das Roulette der Republik
Wenn Lecornu scheitert, wird Macron das Parlament wieder auflösen – das französische Äquivalent zu „Neustart drücken, weil Windows hängt“. Doch die Meinungsforscher warnen: Das wäre, als würde man eine brennende Ölquelle mit einem Feuerzeug überprüfen.
Denn jedes Mal, wenn Frankreich wählt, wird Le Pens Rassemblement National stärker. Ein Phänomen, das Macron offiziell „besorgniserregend“ nennt, während er hinter den Kulissen an neuen Umfragen bastelt, die das Gegenteil behaupten.
Frankreich steht damit vor einem Dilemma: Will man lieber Chaos oder Rechtspopulismus? Oder – im schlimmsten Fall – beides, aber bitte mit Gourmetküche?
Demokratie als Theaterstück
Die ganze Szenerie erinnert an ein französisches Bühnenstück, das seit Jahren in Endlosschleife läuft: Akt I: Neuer Premier schwört Reformen. Akt II: Opposition tobt. Akt III: Misstrauensvotum. Akt IV: Neuwahl oder Rücktritt. Finale: Dramatische Rede über die „Krise der Demokratie“ – begleitet von melancholischer Akkordeonmusik.
Die Franzosen sind längst Zuschauer im eigenen politischen Kabarett. Man klatscht, man pfeift, man streikt – aber keiner glaubt mehr, dass sich das Stück ändert.
Der Macronsche Zirkel
Und über allem schwebt er: Emmanuel Macron, der Präsident, der immer noch glaubt, er sei Jupiter. Er zieht die Fäden, gibt Interviews, verkündet „nationale Erneuerung“ – und wundert sich, dass ihm keiner mehr zuhört.
Macron ist mittlerweile wie ein Lehrer, dessen Klasse nur noch wegen der Anwesenheitspflicht bleibt. Er will Frankreich reformieren, aber Frankreich will einfach seine Ruhe.
Und so entsteht das, was Politologen ein „System im Überhitzungszustand“ nennen – oder was der normale Franzose schlicht beschreibt mit:
„Encore une fois, c’est la merde.“
Vive la Farce
Frankreich steht also mal wieder am Abgrund – und schaut neugierig hinunter, weil es dort bestimmt interessanter ist. Lecornu kämpft um seinen Haushalt, Macron um seine Autorität, und die Franzosen um die Geduld.
Die Fünfte Republik wirkt mittlerweile wie ein alter Citroën: rostig, laut, aber irgendwie fährt er noch. Man weiß nur nicht, ob das ein Zeichen von Stabilität oder von Gewohnheit ist.
Und wenn am Ende wieder alles scheitert, wird Macron bestimmt eine großartige Rede halten – mit Pathos, Musik und „Europa“ im Satz. Und Frankreich wird sagen:
„Na gut. Noch einmal. Aber diesmal mit weniger Drama.“
Doch wer Frankreich kennt, weiß: Das Drama ist der Motor der Republik. Und Lecornu ist nur der neue Fahrer in einem Wagen ohne Bremsen – auf dem Boulevard der politischen Eitelkeiten.