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Operation Maß & Magen – Die Hangstreife vom Kotzhügel
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München, Theresienwiese. Wenn irgendwo in Bayern das Leben tobt, die Maßkrüge singen und die Blasmusik gegen den letzten Rest Selbstachtung ankämpft, dann ist das Oktoberfest. Ein Ort, an dem Bierfluss und Menschenwürde im gleichen Takt straucheln. Und dort, wo die Party endet – am berüchtigten „Kotzhügel“ – beginnt für eine Gruppe Menschen die Arbeit: Die Hangstreife von Securitas. Ein Team aus sechs tapferen Frauen und Männern, das täglich durch das feuchte Niemandsland zwischen Hopfen, Malz und menschlichem Versagen patrouilliert.
Willkommen in der Chill-out-Area der Zivilisation
Offiziell heißt der Ort „Ruhebereich“. Inoffiziell: der Endgegner jeder Maß. Hier stranden jene, die das Oktoberfest nicht mehr feiern, sondern verarbeiten. Zwischen halbleeren Bierkrügen, Schweiß, Taschentüchern und Tränen des Stolzes liegen sie – die menschlichen Opfer der bayerischen Geselligkeit.
Es ist ein Schauspiel, das irgendwo zwischen Apokalypse, Biologieunterricht und Verkehrsunfall rangiert. Zwei junge Frauen im Dirndl sitzen am Hang, die eine hält der anderen fürsorglich die Haare zurück, als wäre es eine Taufszene. Dann – Halleluja – der Moment der Läuterung. „Jetzt kommt’s!“, sagt Sicherheitsmann Oliver Schwäger trocken. Sein Kollege Nils Helmers nickt wissend: „Jetzt geht’s los.“ Was bei anderen der Rettungsdienst ist, ist hier die Gelassenheit der Routine.
„Man muss das aushalten“, sagt Helmers später. Ein Satz, der nach Oktoberfest klingt – aber auch nach politischer Grundhaltung.
Vom Sicherheitsdienst zum Seelsorger
Die Hangstreife tut, was Helden eben tun: Sie bringt Ordnung ins bierselige Chaos. Helmers, schwäbischer Securitas-Bereichsleiter und erfahrener Wiesn-Veteran, sagt: „Wir schauen, ob sie schlafen oder hilflos sind.“ Das klingt einfach – ist aber eine Kunstform.
Denn auf dem Kotzhügel ist Schlaf nicht gleich Schlaf. Da gibt es den Bierkoma-Schlaf, den strategischen Rückzugsschlaf und den ich-denke-nach-und-habe-dabei-die-Augen-zu-Schlaf. „Wenn die Hosen trocken sind, die Bäuche sich bewegen und sie atmen – dann ist alles gut“, erklärt Schwäger. Eine medizinische Definition, die vermutlich auch im Vatikan als Wunderheilung gelten würde.
Helmers hat immer Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel dabei – die Heiligen Utensilien seiner Arbeit. „Man muss verschiedene Arten von Ausscheidungen abkönnen“, sagt er mit einem Lächeln, das klingt wie ein Bewerbungsgespräch in der Hölle.
Schutzengel in Warnwesten
Die Hangstreife sorgt dafür, dass niemand erfriert, beklaut oder gar gefilmt wird. Denn im Schatten der Zelte lauern Taschendiebe, Spanner und das moralische Restprogramm des Abends. „Manche legen sich einfach daneben und tun so, als wären sie Freunde“, erzählt Schwäger. Ein Satz, der gleichzeitig das Sozialleben vieler Menschen beschreibt.
Doch die Hangstreife schreitet ein – entschieden, aber freundlich. Wenn sich jemand verdächtig nähert, genügt oft ein kurzer Ruf und ein Blick in die Richtung, die besagt: „Wir wissen, dass du kein Freund bist. Du trägst Turnschuhe, kein Trachtenhemd.“
Von Dirndl-Diplomatie und Maß-Moral
Besonders heikel wird es, wenn Kleidung verrutscht. Dann treten die weiblichen Kolleginnen auf den Plan, mit Feingefühl und festem Griff. „Das ist total wichtig, auch bei sensiblen Themen wie Upskirting“, sagt Helmers. Und tatsächlich: In dieser bizarren Szenerie sind sie nicht nur Sicherheitskräfte, sondern die wahren Verteidigerinnen der Würde. Eine Mitarbeiterin richtet einer schlafenden Frau das Dirndl zurecht, während deren Freund – in liebevoller Bewusstlosigkeit – schnarcht. Ein bayerisches Stillleben der Zärtlichkeit.
Die Kotzologen von München
Wenn man sie reden hört, klingen die Männer der Hangstreife wie Wissenschaftler eines neuen Fachgebiets: der Bierpathologie. Sie wissen, wie lange ein Mensch aufrecht bleibt, bevor die Schwerkraft gewinnt. Sie können am Geruch erkennen, ob jemand Spaten, Augustiner oder Paulaner konsumiert hat. „Wir haben hier so viel Erbrochenes gesehen wie sonst in einem ganzen Leben – und wir sind Türsteher in Berlin“, sagt Justin, Neuling im Team. Kollege Peter nickt ernst: „Hier gibt’s nichts, was man nicht sieht.“
Das Oktoberfest ist eben ein Ort, an dem Grenzen verschwimmen – zwischen Fremdscham und Forschung, zwischen Brauchtum und Biotop.
1000 Dank und eine Maß weniger
Am Ende eines Arbeitstages riecht die Hangstreife wie eine Mischung aus Desinfektionsmittel, Brezn und Mitleid. Doch sie machen es mit Stolz. „Die Leute bedanken sich oft bei uns“, sagt Schwäger. „Die Wertschätzung ist wirklich toll.“ Ein Satz, der fast rührend klingt, wenn man weiß, dass er von einem Mann stammt, der gerade jemanden daran erinnert hat, nicht auf einen Bauzaun zu pinkeln.
Und ja, die Präsenz der Hangstreife wirkt. Die Zahl der Delikte sinkt, der Respekt steigt – zumindest bei jenen, die noch geradeaus sehen können.
Die letzte Bastion der Menschlichkeit liegt in Hanglage
Während im Zelt das letzte „Ein Prosit“ erschallt, halten draußen Menschen mit Warnwesten und Nerven aus Stahl die Stellung. Sie schützen, was vom Stolz der Nation übrig ist – und was nach acht Maß und drei Brezn noch als „bürgerlich“ durchgeht.
Der Kotzhügel ist kein Ort des Ekels, sondern ein Denkmal für das Menschliche im Menschen: Für Fürsorge im Chaos, Ordnung im Rausch – und Humor in der Hölle.
Oder, wie Helmers es sagt: „Seit ich das hier mache, trinke ich weniger Alkohol.“ Ein Satz, der alles erklärt.