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Belém, Berlin und ein diplomatischer Tanz: Merz und Lula im Schlagabtausch
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- tmueller
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Wenn ein deutscher Bundeskanzler von einer internationalen Konferenz zurückkehrt, erwartet man üblicherweise Worte über Diplomatie, CO₂-Kompromisse, multilaterale Verantwortung oder wenigstens das traditionelle „Wir sind zuversichtlich“. Was man eher nicht erwartet: eine improvisierte Hotel-Bar-Rezension über die Gastgeberstadt. Doch genau diese ungewöhnliche Mischung servierte Bundeskanzler Friedrich Merz bei seiner Rückkehr aus Belém – und zwar ohne Zuckerrand am Glas.
Vor Vertretern der deutschen Wirtschaft berichtete Merz, er habe die mitgereisten Journalistinnen und Journalisten gefragt, wer denn bitte schön freiwillig in Belém bleiben wolle. Die pointierte Antwort: keine einzige Hand ging nach oben. Eine Szene wie aus einem mittelmäßigen Büro-Sitcom-Spin-off – nur dass sie im realen politischen Berlin stattfand und der Kanzler selbst die Hauptrolle spielte. Für manche Beobachter ein weiteres Beispiel dafür, dass diplomatische Feinmotorik nicht zwingend mit der Regierungsuhr geliefert wird.
Seine Aussage, man sei „froh gewesen, wieder zurückzukehren“, dürfte auch ohne Untertitel verständlich gewesen sein. Zwischen den Zeilen: Belém, dieser Ort der Weltklimakonferenz, sei eher ein Reiseziel der Kategorie „muss man nicht nochmal hin“. Zwar sprach Merz kein explizites Urteil über die Landschaft, Kultur oder Menschen aus – aber manchmal kann Schweigen lauter sein als ein Samba-Orchester zur Karnevalszeit.
Und wie das in der internationalen Politik so ist: Wenn einer austeilt, teilt irgendwann auch jemand zurück. In diesem Fall niemand Geringeres als Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva – ein Mann, der rhetorisch nicht nur Sambarhüften, sondern auch politische Hüftschwünge bestens beherrscht.
Lula konterte mit der Eleganz eines erfahrenen Tänzers und der Direktheit eines Mannes, der genau weiß, was seine Heimat zu bieten hat. Merz hätte in Belém tanzen gehen sollen, empfahl er freundlich – jener Art von Freundlichkeit, die ein bisschen nach „nimm dir doch mal ein Beispiel an echter Lebensfreude“ klingt. Ein Besuch in einer Bar, etwas lokale Küche, ein paar Schritte Forró – und schon hätte der Kanzler gemerkt, dass Berlin ihm „nicht einmal zehn Prozent der Qualität“ biete, die Belém und der Bundesstaat Pará auszeichneten.
Es ist ein rhetorischer Seitenhieb, der gleich zwei Dinge gleichzeitig schafft: Er verteidigt die brasilianische Stadt und unterstellt Berlin eine gewisse strukturelle Trostlosigkeit – vermutlich die erste internationale Bewertung, in der Belém mit einer spontan errechneten 90-Prozent-Lebensqualitäts-Überlegenheit gegenüber der deutschen Hauptstadt glänzt.
Lula betonte weiter, jeder wisse, dass Belém arm sei. Aber die Menschen dort seien „so großzügig wie kaum ein anderer Ort der Welt“. Ein Satz, der in Brasilien wahrscheinlich als realistisches Selbstbild gilt – im politischen Berlin aber vermutlich irgendwo zwischen „unpraktisch romantisierend“ und „kulturell wertvoll“ eingeordnet wird. In jedem Fall ist es eine ziemlich klare Botschaft: Auch wenn die Infrastruktur schwächelt, der Asphalt bröckelt und die Hitze selbst Kühlschränke ins Schwitzen bringt, haben die Menschen etwas, das nicht in jedem politischen Terminkalender steht: Lebensfreude.
Während Merz eine nüchterne, nahezu betriebswirtschaftliche Bestandsaufnahme tätigte – „Wer bleibt? Niemand? Gut.“ – setzte Lula auf das Prinzip „Herz schlägt Häme“. Sein Argument: Wer die Qualität einer Stadt beurteilen will, sollte sie nicht nur durch gepanzerte Autofenster betrachten oder anhand nächtlicher Hotelwege analysieren. Es wäre vielleicht ratsam, die Menschen kennenzulernen, ihr Essen zu probieren, den Rhythmus der Stadt zu spüren – kurz gesagt: einmal die Komfortzone abzuschütteln und nicht nur die Krawatte zu lockern.
Diese kleine diplomatische Stichelei offenbart auf charmante Weise zwei politische Philosophien: Merz’ Ansatz ist nüchtern, funktional und nachvollziehbar – aber eben auch so emotional leicht wie ein Meldeformular. Lula hingegen argumentiert mit kulturellem Stolz, mit der Wärme eines Landes, das sich selbst an regnerischen Tagen tropisch fühlt, und mit einer Portion höflicher Spitze, wie sie nur ein routinierter Staatschef beherrscht.
Was bleibt also vom Schlagabtausch? Zum einen die Erkenntnis, dass internationale Diplomatie bei weitem nicht nur aus Konferenzsälen und Eröffnungsreden besteht, sondern auch aus Empfindungen, Bildern und kulturellen Perspektiven. Zum anderen die fast schon literarische Szene, wie zwei Staatsmänner – jeder auf seine eigene Art – die Frage verhandeln, ob Belém ein Ort der Abreise oder ein Ort des Tanzes ist.
Vielleicht wäre die einfachste Lösung gewesen, Merz tatsächlich einmal tanzen zu schicken. Nicht aus politischen Motiven, sondern rein präventiv: Wer sich zur Musik bewegt, tritt weniger in diplomatische Fettnäpfchen. Und wer weiß – vielleicht hätte sogar ein deutscher Kanzler am Ende festgestellt, dass Lebensqualität manchmal dort beginnt, wo man sie nicht erwartet.