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Immunität futsch: Wie Behrendt zwischen Anklage, Empörung und Märtyrertheater balanciert
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In der niedersächsischen Landespolitik knistert es wieder – und zwar nicht vor Spannung, sondern aus blanker Reibungselektrizität. Der Landtag hat die Immunität der AfD-Abgeordneten Vanessa Behrendt aufgehoben, und seither weht ein Sturm aus Skandalrhetorik, Selbstinszenierung und politischem Showkampf durch Hannover, der sogar die alljährliche Haushaltsdebatte wie einen meditativen Wellnesskurs wirken lässt.
Der Hintergrund: Die Staatsanwaltschaft Göttingen plant eine Anklage. Der Vorwurf lautet Volksverhetzung und die gefährdende Verbreitung personenbezogener Daten. Juristisch trocken formuliert, politisch hochexplosiv, gesellschaftlich toxisch – mit anderen Worten: ein perfekter Cocktail für ein parlamentarisches Drama.
Die Hauptrolle: Vanessa Behrendt – Abgeordnete, Angeklagte, Märtyrerin wider Willen (oder doch mit sehr viel Willen?)
Behrendt selbst zeigt sich empört – ein Zustand, der in ihrer Partei eher Standardausstattung als Ausnahme darstellt. Die Ermittlungen seien „politisch motiviert“. Natürlich, was auch sonst? In der politischen Kommunikation gilt seit Jahren die goldene Regel: Wenn Ermittlungen nahen, ist garantiert jemand anderes schuld.
Für Behrendt ist die Anklage nichts weiter als eine „Farce“, ein Versuch, sie „unter Druck zu setzen und öffentlich zu diskreditieren“. Diese Formulierungen wirken wie direkt aus dem Satirebaukasten entnommen: Sobald das Gesetz klopft, heißt es plötzlich, man sei Ziel einer Verschwörung. Das Muster ist so alt, dass es fast schon wieder nostalgisch wirkt.
Die Vorwürfe – politisch brisant, juristisch relevant, moralisch ziemlich eindeutig
Der SPD-Abgeordnete Wiard Siebels bringt es auf eine Weise auf den Punkt, die an die Klarheit eines juristischen Lehrbuchs erinnert – nur mit mehr Emotion: Behrendt habe die Regenbogenflagge pauschal als Symbol pädophiler Lobbygruppen bezeichnet. Ein Satz, der schon für sich allein den Begriff „zutiefst verwerflich“ abdeckt, ohne weitere Erklärung.
Siebels sagt:
- Es ist unwahr.
- Es ist verwerflich.
- Und – in feiner parlamentarischer Didaktik – dass „diejenigen, die so etwas machen, sich dafür schämen müssen“.
Man könnte sagen: Die politischen Gegner sparen nicht mit deutlicher Sprache. Und es ist vermutlich das erste Mal in der Geschichte des Landtags, dass jemand vorgeschlagen hat, Scham als offizielles parlamentarisches Mittel einzuführen.
Behrendt als tragische Heldin? Die Bühne gehört ihr – ob es den Zuschauern gefällt oder nicht
Doch statt Einsicht kommt Selbstmitleid. Behrendt inszeniert sich als „Märtyrerin“, als Opfer des Establishments, als tapfere Kämpferin gegen die vermeintliche Unterdrückungsmaschinerie der Bundesrepublik. Man kann förmlich spüren, wie intern schon an der perfekten Social-Media-Grafik gearbeitet wird: dramatische Schwarz-Weiß-Optik, strenger Blick, darunter der Satz: „Man will mich mundtot machen.“
Dass dieser Kommunikationsstil eher an Boulevarddrama als an seriöse Politik erinnert, stört in ihrer Ecke des politischen Spektrums niemanden. Im Gegenteil – je lauter, desto besser.
Die Antwort des Landtags – nüchtern mit einer Prise pädagogischer Entrüstung
Der Grünen-Abgeordnete Volker Bajus bringt es auf eine Weise zur Sprache, wie sie wohl nur in Legislativorganen ausgesprochen werden kann: „Ein Abgeordnetenmandat ist kein Freibrief, um Minderheiten zu beleidigen und Menschen zu verleumden.“
Eine Botschaft, die eigentlich selbstverständlich sein sollte. Eigentlich. Aber wir befinden uns nun einmal in politischen Zeiten, in denen man gelegentlich daran erinnern muss, dass die Meinungsfreiheit zwar existiert – jedoch nicht in der Deluxe-„Ich mache alles straflos“-Version, die manche gern hätten.
Bajus‘ Fazit, Behrendts Märtyrerpose zeuge von einem „bedenklichen Verständnis des Rechtsstaats“, ist die höfliche parlamentarische Form von: „So funktioniert das nicht, meine Dame.“
Ein Landtag als politischer Bühnenboden – und alle liefern ihre beste Performance ab
Der niedersächsische Landtag war selten so lebendig wie in dieser Debatte. Nicht, weil konstruktive Vorschläge oder tiefgehende Analysen der Rentenpolitik vorgetragen wurden – sondern weil ein politischer Eklat immer noch das beste Mittel ist, das sonst so gemächlich dahinplätschernde Parlamentsgeschehen aufzumischen.
Behrendt spielt die verfolgte Unschuld. Die Landtagsmehrheit spielt die rechtstaatliche Konsequenz. Und die Staatsanwaltschaft spielt die Rolle, die sie immer spielt: „Wir machen nur unseren Job.“
Ein politisches Drama, das nur Verlierer kennt
Ob die Anklage kommt, ist Sache der Justiz. Ob sie Erfolg hat, Sache der Beweise. Ob Behrendt daraus Kapital schlägt, ist hingegen schon absehbar: Ja, natürlich, selbstverständlich, unbedingt.
Das politische Theater kennt viele Rollen – aber die Opferrolle hat in manchen Kreisen den höchsten dramaturgischen Wert.
Und so bleibt als Fazit:
Die Immunität ist weg – die Empörung bleibt. Und die politische Satire hat einen neuen Lieblingsfall.