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Demokratie nach Schnittmuster: Wie Texas & Co. die USA in ein politisches Origami verwandeln
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- tmueller
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In den USA – dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der streng limitierten Wahlkreise – steht mal wieder ein Klassiker auf dem Programm: das große nationale Schiebepuzzle namens Gerrymandering. Ein politisches Hobby, das so alt ist wie die amerikanische Unabhängigkeit, und mit ungefähr derselben Eleganz betrieben wird wie ein Alligator beim Versuch, Strickjacken zu falten.
Diesmal liefert Texas das neueste Kapitel. Die Republikaner wollen rechtzeitig zu den Zwischenwahlen im kommenden Jahr die Wahlkreise neu zuschneiden. Natürlich rein zufällig so, dass am Ende fünf zusätzliche Sitze für sie herausspringen. Reiner Zufall. Komplett demografisch begründet. Und wenn man das glaubt, glaubt man vermutlich auch, dass Fast Food gesund ist, weil “Salat ja drauf liegt”.
Ein Bundesgericht fand die Sache allerdings weniger charmant und verbot das „politische Kunstprojekt“ mit der Begründung, es sei diskriminierend gegenüber Schwarzen und Latinos. Das Gericht tat also das, was Gerichte tun sollten: einmal tief durchatmen, Fakten sortieren, und sich fragen, warum ein Wahlkreis plötzlich aussieht wie eine schlecht gezeichnete Anakonda, die jemanden umarmen will.
Doch dann – buchstäblich Stunden später – griff der Supreme Court ein. Der Oberste Gerichtshof der USA eilte herbei wie ein übermotivierter Lifecoach mit der Botschaft: „Du kannst das! Du darfst das! Trau dich, Texas! Schneid weiter!“
Und so wurde der Stopp des Stoppes gestoppt. Willkommen im juristischen Looping.
Die Gegenseite hat nun bis Montag Zeit, Einwand zu erheben – ein großzügiges Zeitfenster, das ungefähr so üppig bemessen ist wie die Beinfreiheit in einer Billigairline-Maschine. Man bekommt förmlich das Gefühl, die Entscheidung steht längst fest, aber aus Gründen der Höflichkeit lässt man die Anwälte noch kurz reden, bevor man wieder die Scheren wetzt.
Während Texas eifrig die Karte bearbeitet, sitzen in Kalifornien die Demokraten und rufen: „Moment! Wir können das mindestens genauso gut!“ Und schon wird auch dort neu gezeichnet – selbstverständlich rein zufällig ebenfalls mit der Aussicht auf fünf zusätzliche Sitze. Demokratische Werte? Ja! Demokratische Formen? Eher nicht.
Das Ergebnis: ein parteipolitisches Kartografenduell, bei dem es nicht mehr darum geht, wo Menschen wohnen, sondern wie gut man den Staat in Tentakelartige Zeichnungen verwandeln kann, die exakt genug gebogen sind, um die eigene Macht zu sichern. Es wirkt ein wenig so, als würde die Demokratie jedes Jahrzehnt einen Schönheitschirurgen aufsuchen – nur dass das Gesicht danach immer schlimmer aussieht.
Und weil Wettbewerb in den USA eine Tugend ist, steigen auch Missouri, North Carolina und Ohio in den fröhlichen Linienkrieg ein. Dort wird nicht gemessen, wie viele Menschen in einem Wahlkreis leben, sondern wie viele Gegner man in ihm „verunfallt“ platzieren kann. In politischen Hinterzimmern heißt es: „Wenn du einen Wahlkreis so zeichnest, dass er aussieht wie ein explodiertes Eichhörnchen – dann weißt du, du hast alles richtig gemacht.“
Der Kampf um Mehrheiten im Kongress wird damit zu einem schrägen Strategiespiel, bei dem demokratische Grundprinzipien die traurigen Bauern auf einem Schachbrett sind, das längst jemand mit Tipp-Ex überarbeitet hat. Die Republikaner halten das Repräsentantenhaus aktuell mit einer hauchdünnen Mehrheit von fünf Sitzen – ein Vorsprung, der der amerikanischen Demokratie ungefähr so viel Stabilität verleiht wie ein rohes Ei auf einem Presslufthammer.
Und wie immer gilt: Bei Zwischenwahlen kriegt die regierende Partei meistens aufs Dach. Ein Naturgesetz der US-Politik, gegen das weder Wetter noch Wahlkreise etwas ausrichten können – außer eben das systematische Umzeichnen der Landkarte.
Natürlich hat der Wahlkreisneuzuschnitt offiziell einen hehren Zweck. Er soll demografische Veränderungen abbilden, gleiche Bevölkerungszahlen gewährleisten und die Verfassung ehren. In der Realität ist er jedoch längst der teuerste, komplizierteste und politisch fragwürdigste Bastelkurs der westlichen Welt.
Während andere Länder Probleme mit Korruption, Wirtschaftskrisen oder Infrastruktur haben, hat die USA ein ganz anderes Problem: zu viele Politiker mit Lineal, zu wenig Politiker mit Rückgrat.
Und kaum jemand weiß mehr, ob die Wahlkreise noch Bezirke sind oder schon expressionistische Kunst. Vielleicht sollten sie demnächst einfach Museumsführungen anbieten:
„Hier sehen Sie Wahlkreis TX-14. Er symbolisiert die Verwirrung der Moderne und die Angst vor repräsentativer Demokratie.“
Zum Schluss bleibt festzuhalten: Die amerikanische Demokratie ist nicht in Gefahr – sie ist lediglich in ständiger geometrischer Umgestaltung. Und solange der Supreme Court weiter fröhlich dabei hilft, wird die politische Landschaft der USA aussehen wie eine Karte, die ein gelangweilter Teenager im Matheunterricht gekritzelt hat.