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Generation Deutschland: Der Moment, in dem der Jugendverband die Vergangenheit lauter rezitiert als die Zukunft

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Generation Deutschland: Der Moment, in dem der Jugendverband die Vergangenheit lauter rezitiert als die Zukunft

Manchmal schreibt die Politik Geschichten, die selbst Drehbuchautoren als „zu übertrieben“ ablehnen würden. Und dann gibt es den Gründungskongress der neuen AfD-Jugend „Generation Deutschland“ in Gießen – eine Veranstaltung, die aussieht, als hätten Nationalismus, Nostalgie und Social-Media-Provokation gemeinsam beschlossen, ein Wrestling-Event im Kostümfundus des Geschichtsunterrichts auszutragen.

Was als nüchterne Parteiorganisation mit „professionellem Anspruch“ angekündigt war, eskalierte zu einem politischen Shakespeare-Stück – mit Tragödie, Groteske, Komödie und einer Prise Verfassungsschutz-Thriller.

Szene 1: Blutdruck steigend – der Auftritt des Herrn Eichwald

Es beginnt harmlos: Ein Mann namens Alexander Eichwald geht ans Mikrofon. Doch schon der erste Satz lässt die ohnehin aufgeladene Halle verstummen. Denn Eichwald spricht im Stil eines historischen Diktators, inklusive rollendem R, marschierender Sprachmelodie und Anrede „Parteigenossen und -genossinnen“.

Es dauert exakt fünf Sekunden, bis der kollektive Puls des Saals auf „blutdruckgefährdend“ wechselt.

Die einen werfen verwirrte Blicke. Die anderen sehen ihre Pressestrategie an die Wand fahren. Einige glauben an Satire. Andere rufen laut: „Bist du ein V-Mann vom Verfassungsschutz?!“

Man kennt es sonst nur aus schlechten Spionage-Serien: Ein neuer Teilnehmer, der plötzlich die Atmosphäre sprengt, alle Verdächtigungen auf sich zieht und beim Rausgehen auf die Frage „War das ernst?“ lediglich „Ja“ sagt.

Damit hat Eichwald wahrscheinlicher als jede echte Geheimdienstoperation dafür gesorgt, dass im AfD-Bundesvorstand die Alarmglocken klangen wie ein Feueralarm in einer Pyrotechnikfabrik.

Szene 2: Chrupalla zieht die Notbremse – die AfD distanziert sich von sich selbst

Parteichef Tino Chrupalla reagiert schnell – sehr schnell. Er sagt, der Auftritt habe „den Grundsätzen der Partei widersprochen“. Ein Satz, der so ironisch ist, dass man ihn für Kunst halten könnte, wäre er nicht ernst gemeint.

Denn während Chrupalla Eichwald wegen NS-Tons scharf kritisiert, stehen im Saal hunderte jubelnde junge Menschen, die kurz zuvor begeistert Sätze wie „Deutschland den Deutschen“, „Startbahnen sollen glühen“ und „millionenfache Remigration“ beklatschten.

Beim Hitler-Duktus ist die AfD also offiziell empfindlich. Beim Hitler-Vokabular weniger. Das ist politische Feinmechanik auf sächsischem Niveau.

Szene 3: Social Media dreht durch – satirische Detektivarbeit beginnt

Online beginnt sofort die investigative Hobby-Bürgerforschung:

  • Ist Eichwald ein eingeschleuster Comedian?
  • Ein V-Mann?
  • Ein Troll?
  • Ein Method Actor ohne Regie?
  • Ein Praktikant aus einem Gleichstellungsbüro in NRW, wie manche behaupten?

Eichwald liefert keine Antworten. Nur sein rollendes R, das er mit „Russlanddeutscher“ erklärt – was vermutlich nicht die Art Imagepflege war, die die russlanddeutsche Community bestellt hatte.

Szene 4: Währenddessen im politischen Maschinenraum – die eigentliche Jugendorganisation radikalisiert sich professionell

Das Problem: Eichwald war nur der lauteste Ausfall – nicht der gefährlichste. Die eigentliche Programmatik der neuen Jugendorganisation wirkt wie ein Sprachlabor für extremistische Satzbausteine.

Mehrere Kandidaten sprechen unverhohlen von:

  • „millionenfacher Remigration“
  • „glühenden Startbahnen“
  • „Abschieben, abschieben, abschieben“
  • einer „Speerspitze der jungen Rechten“
  • der Weigerung, sich vom extremistischen Vorfeld zu distanzieren

Man muss es einmal ganz nüchtern festhalten: Der Unterschied zwischen Eichwald und den anderen Rednern besteht nicht im Inhalt – sondern im fehlenden rhetorischen Feintuning.

Die neuen Gesichter der AfD-Jugend beherrschen die Kunst, Extrembotschaften so zu verpacken, dass sie wie „politisch frischer Wind“ aussehen sollen – eine Art rechtsextreme „Schöner Wohnen“-Version.

Szene 5: Proteste draußen – Gießen wird zum politischen Verkehrsstau des Jahres

Während drinnen die verbale Geschichtsklitterung auf Hochtouren läuft, befindet sich draußen die Stadt im Ausnahmezustand.

  • 10.000 Demonstranten.
  • 4.000 Polizisten.
  • Blockaden auf Bundesstraßen.
  • Abgeseilte Aktivisten auf Brücken.
  • Wasserwerfer.
  • Sirenen.
  • Geschlossene Hotels.

In Gießen herrscht an diesem Tag ein Mix aus Festivalstimmung, Ausnahmezustand und Verkehrsmeldung aus der Hölle.

Nicht einmal Weidel und Chrupalla kommen pünktlich rein. Der neue Jugendvorsitzende Jean-Pascal Hohm steht stundenlang in Blockaden fest – eine Art unfreiwilliger Reality-Check.

Szene 6: Alice Weidel spielt Staatsfrau – während die Realität ihr Bühnenbild zerstört

Drinnen auf der Bühne versucht Alice Weidel, die AfD als Hüterin von Demokratie und Rechtsstaat zu verkaufen – ein rhetorischer Kraftakt, der ungefähr so glaubwürdig wirkt wie ein Wolf im Schafspelz, der beteuert, er wolle nur den Wollmarkt stabilisieren.

Sie appelliert an Herz, Mäßigung, Respekt, predigt politische Friedfertigkeit – während ihre eigene Partei seit Jahren durch Straßenmobilisierung, Dauerempörung und sprachliche Eskalation glänzt.

Es erinnert ein wenig an einen Brandstifter, der mit besorgter Miene ruft: „Bitte schütten Sie kein Öl ins Feuer!“

Szene 7: Die Wahl – und die Zukunft der „Generation Deutschland“

Jean-Pascal Hohm, 28, ohne abgeschlossene Ausbildung, dafür mit klarer Nähe zu rechtsextremen Netzwerken, wird mit über 90 Prozent zum Vorsitzenden gewählt.

Sein politisches Profil liest sich wie ein Bewerbungsbogen des Verfassungsschutzes:

  • Kontakte zur Identitären Bewegung
  • Verbreitung völkischer Thesen
  • „Remigration“ als Lieblingswort
  • Inlandsgeprägte Radikalisierungsorte
  • Extremismus-Einstufung durch Sicherheitsbehörden

Alles Dinge, die in einer demokratischen Partei ein Problem wären. In der AfD dagegen offenbar Karrierevoraussetzungen.

Hohm verkündet die Mission: „Wir werden die Jugendbewegung des Optimismus sein.“ Optimismus klingt in diesem Kontext wie ein düsterer Witz.

Szene 8: Die Symbolik – Hitlerjugend-Ästhetik trifft Instagram-Tauglichkeit

Auffällig ist: Viele Formulierungen orientieren sich an historischen Jugendorganisationen, die man normalerweise nur im Geschichtsbuch findet – und nicht in Parteitagsreden des 21. Jahrhunderts.

„Jugend wird durch Jugend geführt“, zitiert Kevin Dorow, ein Satz, der eine direkte Linie zur Hitlerjugend zieht – und von den Anwesenden gefeiert wird.

Der Kongress wirkt wie eine bizarre Mischung aus:

  • Nostalgie für autoritäre Ordnungsfantasien
  • Modernem Social-Media-Auftritt
  • Historisch gefährlichem Gedankengut
  • Politischem Machtkalkül

Die „Generation Deutschland“ soll rebellisch auftreten – aber nur kontrolliert rebellisch. Eine Jugendbewegung wie ein Kampagnen-Start-up: jung, radikal und maximal auf Parteierfolg ausgerichtet.

Szene 9: Der Elefant im Raum – die AfD möchte regieren

Weidel macht keinen Hehl daraus: 2026 ist ein Wahljahr, und die AfD wittert Machtoptionen. In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern träumt man bereits von Ministerpräsidentenposten.

Dafür braucht es Nachwuchs, der zuverlässig ist – aber auch medienwirksam radikal. Eine Mischung, die gefährlicher ist als jeder Alkoholexzess auf einem Burschenschaftsfest.

Szene 10: Das Fazit – Ein neuer Jugendverband mit alter Ideologie

Der Gründungskongress zeigt:

  • Die AfD will nicht gemäßigter werden.
  • Sie will radikaler auftreten – nur professioneller.
  • Sie will demokratische Rhetorik benutzen – ohne demokratische Inhalte.
  • Sie will junge Gesichter – mit alten Parolen.

Der bizarre Auftritt Eichwalds war der Moment, der viral ging. Doch der eigentliche Skandal ist: Seine Rede war aus Versehen ehrlicher als die glattgeschliffene Extremrhetorik der anderen.