- Veröffentlicht am
- • Politik
Globale Ermahnungs-Dramatik: Berlin winkt ab und Washington wundert sich
- Autor
-
-
- Benutzer
- tmueller
- Beiträge dieses Autors
- Beiträge dieses Autors
-
In der deutschen Hauptstadt, wo politische Statements normalerweise mit der gleichen emotionalen Entschlossenheit vorgetragen werden wie ein Beipackzettel von Schmerztabletten, gab es dieser Tage eine bemerkenswerte Szene: Der Bundeskanzler stellte sich hin, hob verbal den Zeigefinger und erklärte dem mächtigsten Land der westlichen Hemisphäre sinngemäß: „Vielen Dank für die Hinweise – aber ihr seid hier nicht im Elternbeirat.“
Auslöser war eine Weisung aus Washington, in der US-Beamte angewiesen wurden, westlichen Regierungen doch einmal freundlich, aber bestimmt klarzumachen, dass „Massenmigration“ eine „existenzielle Bedrohung westlicher Zivilisationen“ sei. Man konnte fast hören, wie in der deutschen Regierungsspitze der kollektive ‚Huch‘-Reflex ausgelöst wurde – gefolgt von einem leicht genervten Augenrollen, das sich gewaschen hat.
Denn „existenzielle Bedrohung“ ist ein Begriff, der in Deutschland sonst eher für Dinge reserviert ist wie Fernsehgebühren, Tempolimits oder die Frage, ob der ÖPNV jemals pünktlich sein wird. Migration hingegen ist ein politischer Dauerbrenner, aber eben ein hausgemachter – und darum ein Feld, auf dem man sich von außen nur ungern reinreden lässt.
Der Kanzler ließ deshalb sinngemäß verlauten: „Wir wissen schon, was wir tun. Und wenn nicht, machen wir es trotzdem selbst.“ Eine bemerkenswert klare Botschaft aus einem politischen Apparatebau, in dem man sonst monatelang debattiert, ob ein Missstand ‚dringend‘ oder nur ‚eilig‘ ist.
Doch die Situation war offenbar reif für ein Statement. Und so erklärte der Regierungschef mit der Gelassenheit eines Mannes, der schon lange keinen Urlaub mehr hatte: „Die Migrationspolitik ist unsere Sache. Und da brauchen wir keine Ermahnungen von außerhalb.“ Ein Satz, der die gleiche Energie transportiert wie: „Bitte nicht in mein Handwerk pfuschen, ich habe dafür schließlich eine Anleitung – irgendwo.“
Die USA hingegen scheinen bei der Formulierung ihrer Warnung entweder einen besonders schlechten Tag oder einen besonders enthusiastischen Ministerialbeamten gehabt zu haben. Die Passage über die „Bedrohung westlicher Zivilisationen“ klingt jedenfalls weniger nach diplomatischer Kommunikation und mehr nach dem dramatischen Höhepunkt eines Direct-to-DVD-Katastrophenfilms.
Man stelle sich die Entstehung des Papiers vor: Ein Beamter, der inspiriert von seinem Science-Fiction-Abo die Lage der Welt im Stil eines Endzeitpropheten beschreibt. Ein Vorgesetzter, der das Dokument durchblättert und ein knappes „Klingt gut, schicken wir so raus“ murmelt. Und ein Social-Media-Team, das den Text schließlich in die Welt pustet, als sei es eine neue Staffelankündigung von „House of Cards – Realitätsspezial“.
In Deutschland landete das Schreiben wie ein Fremdkörper, der höflich, aber bestimmt zurückgewiesen wurde. Eine diplomatische Rückhand mit Samthandschuh, sozusagen.
Der Kanzler nutzte die Gelegenheit nämlich nicht nur für die Klarstellung internationaler Zuständigkeiten, sondern auch für einen sanften Hinweis darauf, dass man seit Regierungsübernahme – nach seiner eigenen Einschätzung – auf dem „richtigen Weg“ sei. Welcher Weg das ist, darüber lässt sich vortrefflich streiten, aber die Botschaft ist klar: Wer unterwegs ist, braucht keinen Navigationskommentar aus Übersee, besonders nicht von jemandem, der selbst seit Jahrzehnten konsequent die Route „eine Ausfahrt später wäre besser gewesen“ befährt.
Interessant ist die Formulierung des US-Papiers auch deswegen, weil sie die westlichen Partner auffordert, ihre Bürger über die „Gefahren der Massenmigration“ aufzuklären. Das klingt ein bisschen so, als solle man in Europa überall Lautsprecher aufstellen, aus denen regelmäßig Durchsagen tönen wie: „Achtung, bitte halten Sie Abstand zu kultureller Vielfalt! Eventuelle Bereicherungen sind nicht ausgeschlossen!“
Deutschland hingegen hat bekanntlich ein etwas komplexeres Verhältnis zur Migration. Man versucht, das Thema strukturiert zu bearbeiten – also so strukturiert, wie es in einem Land geht, in dem schon das Abheften von Unterlagen als Verwaltungsdisziplin auf olympischem Niveau betrieben wird.
Und dennoch: Der Kanzler fühlte sich offensichtlich bemüßigt, demonstrativ zu betonen, dass man das Thema im Griff habe – inklusive aller bekannten politischen Detailfragen, die sich wie ein Kaugummi durch mehrere Legislaturperioden ziehen. Wer das Geschehen im Bundestag verfolgt, weiß: Migrationspolitik ist hier nicht nur ein Politikfeld, sondern ein Langzeitprojekt, das man in regelmäßigen Abständen wie ein altes Möbelstück umstellt und hofft, dass es dadurch hübscher aussieht.
Die Reaktion aus Berlin darf deshalb durchaus als souveränes Schulterzucken interpretiert werden: „Danke für eure Sorge, liebe USA, aber wir schaffen das schon – egal in welche Richtung.“
Ein internationaler Konflikt droht daraus kaum zu entstehen. Es ist allgemein bekannt, dass die USA sich hin und wieder berufen fühlen, ihren Verbündeten strategische Hinweise zu geben – egal ob es um Handelsdefizite, Verteidigungsausgaben oder internationale Krisen geht. Man könnte sagen: Es gehört zur amerikanischen Außenpolitik wie Ketchup zu Pommes.
Deutschland wiederum ist es gewohnt, solche Hinweise zu nehmen, höflich zu nicken und anschließend genau das zu tun, was man ohnehin vorhatte. Eine Art transatlantische Ehe, bei der man trotz regelmäßiger Ratschläge zufrieden auseinanderlebt.
Das Ganze wäre kaum der Rede wert, hätte die Erklärung aus Washington nicht diesen dramatischen Anstrich. Die Formulierung von „existentieller Gefahr“ für die westliche Zivilisation hat etwas so Übertriebenes, dass man fast erwartet, beim Lesen automatisch in eine Zeitlupenszene mit dramatischer Musik zu geraten.
Deutschland hat darauf jedoch mit einer bemerkenswert pragmatischen Gelassenheit reagiert – und diese Gelassenheit ist vielleicht die wahre Pointe der Situation. Denn während man in Washington offenbar schon die Apokalypse in Zeitlupe herannahen sieht, trinkt man in Berlin vermutlich gerade Kaffee und sagt: „Ruhig bleiben, wir kennen das. Erstmal abheften.“