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Wie ein Gesetz aus der Postkutschenzeit Deutschlands digitale Bildung bremst
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Deutschland, das Land der Dichter, Denker – und Dauerformularsammler. Während andere Nationen mit Künstlicher Intelligenz schon ganze Lehrpläne gestalten, steckt hierzulande der digitale Unterricht zwischen Faxgerät und Füllfederhalter fest. Und nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) beschlossen, diesem Elend die juristische Krönung aufzusetzen: Online-Lernkurse ohne staatliche Zulassung sind nichtig. Jawohl – einfach gelöscht, annulliert, abgeschaltet.
Betroffen ist ein Online-Coaching-Programm, das rund 7000 Euro kostete und unter dem verheißungsvollen Titel „E-Commerce Master Club“ wohl mehr digitale Freiheit als juristische Grundkenntnis versprach. Die Karlsruher Richter urteilten streng: Weil das Programm nicht von der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) abgesegnet war, ist der Vertrag ungültig.
Damit ist klar: Wer in Deutschland online etwas lernen will, braucht keine Motivation, sondern eine Zulassungsnummer.
Wenn ein Gesetz aus 1976 auf WLAN trifft
Das Urteil stützt sich auf das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) – ein Relikt aus einer Zeit, als Lehrbriefe noch mit einer Briefmarke versendet wurden und das Wort „Cloud“ ausschließlich meteorologisch gemeint war. Das Gesetz von 1976, damals entworfen für den Postverkehr, hat nun die digitale Bildungswirtschaft auf dem falschen Fuß erwischt.
Denn was früher die „Räumliche Trennung von Lehrer und Schüler“ bedeutete („Er wohnt in Buxtehude, ich in Bonn“), wird heute zum juristischen Knotenpunkt für Livestreams, Zoom-Meetings und WhatsApp-Coachings. Das Ergebnis: Deutschlands Bildungsgesetzgebung wirkt, als würde sie versuchen, TikTok mit einem Diaprojektor zu regulieren.
Willkommen im Paragrafen-Parkour der pädagogischen Pein
Der BGH hat betont, dass Fernunterricht alle Formate umfasst, bei denen Lehrende und Lernende nicht im selben Raum sitzen. Das klingt logisch – bis man versucht, es praktisch anzuwenden. Denn nun wird jeder, der in Deutschland per Webcam Wissen vermittelt, quasi zum Fernlehrer mit Erlaubnisschein – vom Yoga-Coach bis zum Quantenphysiker, vom Zeichenkurs bis zur Künstlichen-Intelligenz-Schulung.
Die Branche spricht von einem „rechtlichen Albtraum“ – und hat damit wohl recht. Denn die ZFU-Zulassung ist so bürokratisch, dass man sie vermutlich erst bekommt, wenn das Internet in Deutschland flächendeckend funktioniert – also nie.
Im August schickten empörte Anbieter einen Brandbrief an Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Darin steht, das FernUSG sei „realitätsfern, innovationsfeindlich“ und gefährde „massiv den digitalen Bildungsstandort“. Kurz gesagt: Es ist das bildungspolitische Pendant zur Dampflok auf der Datenautobahn.
Wenn die Justiz den Klassenraum betritt – mit Taschenrechner und Faxgerät
Noch absurder wird es, wenn man die Urteile der verschiedenen Oberlandesgerichte nebeneinanderlegt. Das OLG Oldenburg meint: Eine Live-Videokonferenz sei Fernunterricht, weil der Lehrer ja nicht im selben Raum sitzt. Das OLG Nürnberg findet dagegen: Kein Fernunterricht, weil man sich ja sehen kann – also quasi „digital beisammen“. Und das OLG Stuttgart hält schon die Möglichkeit, eine Frage zu stellen, für eine „Lernkontrolle“.
Das OLG Köln wiederum sieht in einer „WhatsApp-Fragen-Flatrate“ keine Lernkontrolle – vermutlich, weil das Bildungsniveau mancher Emojis schwer messbar ist.
Mit anderen Worten: Jedes Gericht bastelt sich seine eigene Definition. Das deutsche Bildungssystem ist somit zur pädagogischen Lotterie mit Aktenzeichen geworden.
Bürokratie, die Wissen verhindert
Ein Anbieter brachte es kürzlich auf den Punkt: „Wenn Leonardo da Vinci heute in Deutschland seine Kunst lehren wollte, müsste er erst einen Antrag bei der ZFU stellen – mit Stempel und Gebührenordnung.“
Die digitale Bildungswirtschaft stöhnt. Plattformen wie Digistore24 warnen, dass nun theoretisch jede Art von Online-Kurs betroffen ist. Also nicht nur hochpreisige Business-Coachings, sondern auch private Nachhilfestunden oder Tutorials wie „Excel für Einsteiger“.
Damit ist die deutsche Bildungsrepublik in der wohl einmaligen Lage, den Zugang zu Wissen zu regulieren – mit Formularpflicht und Faxnummer. Und das im Jahr 2025.
Reform? Ja, irgendwann. Vielleicht. Nach der Prüfung.
Die Branche fordert ein Moratorium, also eine juristische „Atempause“, bis das Gesetz modernisiert ist. Aber wer den deutschen Reformrhythmus kennt, weiß: Das dauert. Das letzte Mal, als Deutschland ein veraltetes Gesetz anpackte, brauchte es 14 Jahre, zwei Untersuchungsausschüsse und einen neuen Ministerpräsidenten.
In der Zwischenzeit sollen alle Anbieter brav auf ihre Zulassung warten. Was so klingt, als würde man einem Marathonläufer sagen: „Bitte nicht loslaufen, bis wir das Startsignal auf Pergament eingraviert haben.“
Bildungsfortschritt made in Germany
Ironisch ist: In einem Land, das beim Digitalpakt Schule noch immer an WLAN-Kabel glaubt, hätte man sich denken können, dass das Lernen im Internet kein Spaziergang wird. Aber statt pragmatisch nachzusteuern, dreht man die Zeit zurück – bis in die Ära der Fernlehrbriefe und Kassettenrekorder.
Das Urteil des BGH wirkt daher wie eine symbolische Geste: „Lernen ja – aber bitte nur mit offizieller Genehmigung, Stempel und pädagogischer Begleitung durch den Amtsschimmel.“
Wenn Kafka noch lebte, hätte er sicher ein Buch darüber geschrieben. Wahrscheinlich hieße es: „Der Kurs“.
Deutschland bildet sich zurück
Was als Verbraucherschutz begann, ist zum Bildungsbürokratie-Monster geworden. Das BGH-Urteil ist juristisch korrekt, aber gesellschaftlich grotesk: Es schützt nicht die Lernenden – es schützt die Verwaltung vor der Moderne.
Während Estland ganze Schuljahre in die Cloud verlegt, überprüft Deutschland, ob ein Videokurs gegen Paragraf 7 verstößt. Das ist ungefähr so fortschrittlich, als würde man KI nur dann erlauben, wenn sie ein Formular E-17 ausfüllt.
Inzwischen sind sich alle einig – Lehrende, Lernende und selbst einige Richter: Das Fernunterrichtsgesetz von 1976 gehört dringend überarbeitet. Am besten in einem hybriden Workshop mit Zertifikat. Natürlich nur, wenn die ZFU vorher zustimmt.