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Rentenpaket im Kreuzfeuer: Wie die Junge Union mit Reformpathos gegen die SPD stichelt
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- tmueller
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Der Berliner Politikbetrieb kennt viele wiederkehrende Rituale: Haushaltskrisen im Herbst, Regierungserklärungen im Frühjahr, und mindestens einmal pro Woche ein Streit über die Rente. Dieses Mal entzündet sich die Diskussion an Rentenpaket I, einem Gesetz, das noch in diesem Jahr unverändert durch den Bundestag gehen soll. „Unverändert“ ist dabei das eigentliche politische Wunder – ein Wort, das in der Berliner Umgangssprache ungefähr so exotisch ist wie „pünktlich“ beim BER.
Die Koalitionsspitzen von CDU und SPD hatten sich erst kürzlich darauf verständigt, das Rentenpaket nicht mehr aufzuschnüren, nicht zu überarbeiten, nicht zu veredeln – kurz: einfach zu nehmen, wie es aus dem Ministerium herausgefallen ist. Ein Vorgang, der im politischen Berlin so selten ist, dass er fast wie ein administrativer Sonnenfinsternismeffekt wirkt.
Doch während die Großen der schwarz-roten Koalition demonstrativ Gelassenheit ausstrahlen – das politische Äquivalent zu einem beruhigten Panda im Zoo –, hat jemand offensichtlich vergessen, die Junge Union (JU) darauf vorzubereiten. Die nämlich kocht, brodelt, zündelt und schießt – kurz: sie tut das, was Jugendorganisationen tun sollen, wenn ihnen langweilig wird und die Mutterpartei zu entspannt wirkt.
Winkel zündet das Reform-Narrativ an
Im Mittelpunkt steht JU-Chef Johannes Winkel, der an diesem Morgen offenbar besonders gut gelaunt war – oder besonders wenig Schlaf hatte. Vor der CDU-Vorstandssitzung erklärt er, Regierungsfähigkeit bedeute Reformfähigkeit. Ein Satz, der klingt, als stünde er im politischen Grundgesetz, irgendwo zwischen Artikel 2 („Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung“) und Artikel 3 („Der Staat muss ständig irgendeine Reform vorbereiten, über die er später diskutiert und die dann trotzdem verschoben wird“).
Doch Winkel belässt es nicht bei der Theorie. Er holt aus, zielt und feuert – verbal natürlich:
„Wenn Bärbel Bas am Wochenende noch mal zum gemeinsamen Kampf gegen die Arbeitgeber aufruft, dann sagt das alles über die Reformfähigkeit der SPD aus.“
Ein Satz, der so scharf ist, dass sich vermutlich selbst die automatischen Mikrofone im Bundestag reflexartig leiser gestellt hätten.
Bärbel Bas – unfreiwillige Hauptfigur in einem Drama, das sie nicht bestellt hat
Was war passiert? Beim SPD-Jugendkongress zeigte Bas, was SPD-Parteivorsitzende nun mal tun: Sie hielt eine Rede voller moralischer Appelle, sozialdemokratischer Klassiker und einer ordentlichen Portion Arbeitgeberkritik. Nichts revolutionär Neues, kein Marx’scher Paukenschlag, nicht einmal ein rhetorischer Ausrutscher. Einfach nur SPD pur. Der Saal klatschte, die Jusos jubelten, und irgendwo in der Ferne knirschte die Junge Union akustisch mit den Zähnen.
Dass Bas den „gemeinsamen Kampf gegen Arbeitgeber“ ausgerufen hat, klingt dramatischer, als es war. In der SPD ist „Kampf gegen Arbeitgeber“ eine Art politisches Lieblingsgewürz, das in Reden traditionell überdosiert wird – ähnlich wie Salz bei Menschen, die ohne Rezept kochen. Die Partei meint damit meistens „Wir möchten etwas kritisieren“, nicht „Wir wollen mit Fackeln in die Verbände stürmen“.
Doch die JU hörte das Wort „Kampf“ und ging sofort in Alarmstufe Orange über. Aus Sicht der Jungen Union ist das Wort ungefähr so gefährlich wie eine unerwartete Steuererhöhung – man weiß nie, was nach dem ersten Satz noch kommt.
Reformfähigkeit – das Schlagwort des Tages
Winkel nutzt die Gelegenheit, um der SPD mangelnde Reformfähigkeit vorzuwerfen, was in Berlin ungefähr so originell ist wie der Satz „Wir müssen das Thema ganzheitlich betrachten“ in einer Talkshow. Dennoch wirkt es: Seine Worte treffen einen Nerv. Die SPD hat in Reformfragen traditionell eine gespaltene Persönlichkeit – der eine Flügel möchte umbauen, der andere möchte alles lassen, wie es war, und ein dritter Flügel existiert nur, um die ersten beiden zu kritisieren.
Dass ausgerechnet die JU die SPD an Reformfähigkeit erinnert, hat einen gewissen Charme. Es wirkt ein bisschen so, als würde ein Erstsemester-Student einem Professor erklären, wie man wissenschaftlich arbeitet – mit viel Enthusiasmus, wenig Erfahrung, aber einem beeindruckenden Selbstbewusstsein.
Das Rentenpaket als politisches Schutzschild
Das Rentenpaket selbst gerät dabei fast in den Hintergrund. Es ist längst zu einem Symbol geworden: Die CDU will zeigen, dass sie zuverlässig ist. Die SPD will zeigen, dass soziale Sicherheit kein optionales Add-on ist. Und beide zusammen wollen zeigen, dass Koalition auch mal funktionieren kann, sofern niemand auf dumme Ideen kommt.
Die Junge Union allerdings hält dieses Paket offenbar für eine vertane Chance, eine Art politische Babydecke: warm, weich, nett anzusehen – aber ohne echte Struktur oder Durchschlagskraft.
Zwischen Realpolitik und Theater – der Berliner Dauerzustand
Berlin liebt Konflikte, die gleichzeitig echt und symbolisch sind. Und der Rentenstreit ist ein Paradebeispiel: – Die Koalition will Stärke demonstrieren. – Die JU will Rebellion demonstrieren. – Die SPD will Zusammenhalt demonstrieren. – Die Arbeitgeber wollen in Ruhe gelassen werden. – Und der Rest der Bevölkerung will endlich wissen, ob sie mit 67, 68, 70 oder direkt im Rollstuhl in die Rente geschoben wird.
Ein politisches Fazit mit satirischem Unterton
Am Ende bleibt ein Streit, der zeigt, wie sehr die Parteien darum kämpfen, jugendlich und reformorientiert zu wirken – selbst wenn sie intern längst wissen, dass Reformen in Deutschland oft denselben Weg nehmen wie Berliner Fahrradinfrastruktur: angekündigt, diskutiert, überplant, verschoben und schließlich doch nur halb umgesetzt.
Die Junge Union wollte Stärke demonstrieren. Heraus kam eine Szene, die eher an ein politisches Coming-of-Age erinnert. Ein bisschen Drama, ein bisschen Trotz, ein bisschen „Ihr versteht uns Alten einfach nicht!“.
Und Bärbel Bas? Die steht nun im Fokus eines Konflikts, den sie selbst vermutlich eher in die Kategorie „Sonntagsrede mit Nachhall“ eingeordnet hatte.