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Vive la Misstrauenskultur – Frankreich regiert sich selbst (widerwillig)

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Vive la Misstrauenskultur – Frankreich regiert sich selbst (widerwillig)

Frankreich, das Land des guten Geschmacks, der großen Worte und der noch größeren Streiks, hat wieder einmal ein Kapitel geschrieben, das irgendwo zwischen politischer Oper und Slapstick-Komödie liegt. Premierminister Sébastien Lecornu, frisch ernannt, einmal zurückgetreten, jetzt wieder da (weil sonst keiner wollte), hat tatsächlich zwei Misstrauensvoten überlebt – ein Kunststück, das in der französischen Politik ungefähr so selten ist wie ein ruhiger Gewerkschaftstag.

Die linkspopulistische LFI und die rechte RN versuchten, seine Regierung zu stürzen. Beide scheiterten – nicht, weil Lecornu plötzlich beliebt wäre, sondern weil man in Frankreich zwar leidenschaftlich gegen alles ist, aber ungern gemeinsam.

Misstrauen als Volkssport

Misstrauensvoten sind in Frankreich kein Ausnahmezustand, sondern eine Art politischer Volkstanz. Während Deutschland Koalitionsverträge schreibt und Österreich Regierungsprogramme druckt, liebt Frankreich das Chaos. Es ist fast schon eine nationale Tradition: Regierung einsetzen, laut schreien, Regierung absetzen, neue Regierung einsetzen – am liebsten dieselbe.

Der erste Antrag kam von La France Insoumise (LFI) – den Revolutionären von der Couch. 271 Stimmen. Nicht schlecht, aber für den Sturz der Regierung braucht es 289. Also: Revolution ja, Mathematik nein.

Die zweite Attacke kam vom Rassemblement National (RN), jener Partei, die so tut, als sei sie bürgerlich, während sie innerlich schon wieder vom Sturm aufs Élysée träumt. 144 Stimmen – also nicht einmal genug, um einen Parkplatz beim nächsten Streik zu blockieren.

Damit hat Lecornu die politische Hürde überlebt – oder, wie man in Frankreich sagen würde: „Er hat’s bis zur nächsten Krise geschafft.“

Der Mann, der zweimal Premier wurde (innerhalb eines Monats)

Sébastien Lecornu – 38, ehrgeizig, glatt, und mit der Aura eines Mannes, der auch den Weltuntergang als „geordnete Transformation“ verkaufen könnte. Macron hatte ihn schon einmal ernannt, dann warf er nach vier Wochen das Handtuch – angeblich wegen „innerparteilicher Spannungen“, was in Frankreich so viel heißt wie: „Jeder hat mich gehasst.“

Doch in der französischen Politik gilt: Rücktritt ist keine Schwäche, sondern eine Etappe. Also kam Lecornu zurück. Wieder ernannt vom Präsidenten, der inzwischen mehr Premiers durch die Tür geschoben hat als ein Bäcker Croissants am Morgen.

Die französische Regierung – eine Castingshow ohne Sieger

Die Nationalversammlung gleicht derzeit eher einer Reality-Show: „La France: Wer wird Regierungsfähig?“

Links kämpft man gegen Sparpläne, rechts gegen Vernunft, die Mitte gegen die Bedeutungslosigkeit – und alle gemeinsam gegen Macron. Koalitionen sind in Frankreich so verpönt wie Instantkaffee. Man will lieber stolz scheitern als pragmatisch funktionieren.

Seit den Neuwahlen 2024 ist das Parlament in Blöcke gespalten, die so unvereinbar sind wie Rotwein und Cola. Man hat keine Mehrheit, aber dafür umso mehr Meinung. Und während in Deutschland Koalitionsausschüsse tagen, ruft man in Paris lieber das nächste Misstrauensvotum aus. Ein politisches Tinder: Jeder wischt gegen jeden – aber niemand matcht.

Der Preis des Überlebens – Rente, die Dritte

Um politisch zu überleben, hat Lecornu das getan, was alle tun, die in Frankreich verzweifelt regieren wollen: Er hat die Rentenreform geopfert. Diese Reform war Macrons Lieblingskind – unpopulär, aber hartnäckig. Sie sollte das Land modernisieren, brachte aber vor allem Mülltonnenbrände, Generalstreiks und Straßen voller wütender Rentner hervor, die mit der Energie von 25-Jährigen „Liberté!“ schrien.

Jetzt also: Reform auf Eis. Lecornu nennt das „Dialogbereitschaft“, Macron nennt es „strategische Atempause“, die Opposition nennt es „Sieg der Vernunft“ – und die Franzosen nennen es „Mittwoch“.

Doch die Gewerkschaft CGT, bekannt für ihre Sympathie mit Pyrotechnik, plant schon den nächsten Aufmarsch am 6. November. Denn in Frankreich gilt die eiserne Regel: Wenn die Regierung etwas beschließt, muss es sofort wieder rückgängig gemacht werden – aus Prinzip.

Der Sparhaushalt – ein französisches Märchen

Lecornus neues Baby heißt „Sparhaushalt“. Ein Wort, das in Frankreich ungefähr so beliebt ist wie „Diät“ nach Weihnachten. Er will kürzen, was in Paris als unantastbar gilt: Renten, Sozialleistungen, Bürokratie – also alles, was den französischen Alltag am Laufen hält.

Natürlich ist der Aufschrei groß. Frankreich ist schließlich das Land, in dem man eher eine Revolution beginnt, als auf einen kostenlosen Kita-Platz verzichtet. Der Premier spricht von „Verantwortung“, die Gewerkschaften von „Klassenkampf“, und die Bevölkerung fragt sich, ob das Netflix-Abo auch subventioniert wird.

Die Opposition – vereint im gegenseitigen Hass

Was in Frankreich Opposition heißt, ist in Wahrheit eine Sammlung von Leuten, die sich nur in einem Punkt einig sind: Macron ist schuld. Die Linke will höhere Steuern für Reiche, die Rechte niedrigere Steuern für Reiche, und die Mitte wünscht sich, dass endlich jemand zuhört.

Marine Le Pens RN schimpft auf „die Globalisten“, Mélenchons LFI auf „die Kapitalisten“, die Sozialisten auf „die anderen Linken“, und am Ende schreit jeder so laut, dass niemand mehr weiß, worum es eigentlich geht. Frankreich eben.

Macron – der Präsident im Zen-Modus

Emmanuel Macron, der politische Jongleur mit dem Dauerlächeln, bleibt äußerlich ruhig. Er weiß: In Frankreich vergehen politische Krisen wie Wetterfronten – laut, nass, aber nie endgültig. Er sitzt im Élysée-Palast und schaut vermutlich mit einem Glas Bordeaux auf den Fernseher, während Lecornu im Parlament schwitzt.

Für Macron ist dieser Premier die letzte Patrone, bevor seine zweite Amtszeit (die ohnehin keiner wollte) endgültig im Chaos endet. Und was macht man mit der letzten Patrone? Man zielt. Oder man verschießt sie versehentlich in den eigenen Fuß.

Frankreich, das Land des ewigen Neuanfangs

Nach den überstandenen Misstrauensvoten kehrt also wieder „Ruhe“ ein – das französische Synonym für die Zeit zwischen zwei Krisen. Die Regierung will jetzt „Sachpolitik“ machen, die Gewerkschaften „Protestkultur leben“, und das Volk „endlich wieder normal fluchen dürfen“.

Doch jeder weiß: Die nächste Krise ist nur einen Gesetzesentwurf entfernt. Denn in Frankreich ist Politik keine Lösung – sie ist ein Lebensgefühl. Ein Dauerzustand aus Widerspruch, Pathos und Pyrotechnik.

Frankreich steht wieder einmal an einem Wendepunkt – oder eher an einem Kreisverkehr. Der Premier hat überlebt, der Präsident schweigt, das Parlament schreit, und das Volk demonstriert.

Ein Beobachter schrieb neulich:

„Frankreich ist kein Staat – es ist eine Oper, die seit 1789 ohne Pause spielt.“

Und so bleibt Lecornu im Amt, bis das nächste Misstrauen kommt. Oder bis die CGT ein Zeltlager vor dem Élysée aufschlägt. Oder bis Macron entdeckt, dass man einen Präsidenten nicht absetzen kann – aber durchaus überstimmen.

Bis dahin: Vive la République. Und vor allem: Vive le Chaos!