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Politik

Friedrich Merz und das große Schweigen – Wenn 60 Frauen schreiben und der Kanzler lieber die Bohrmaschine anhört

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Friedrich Merz und das große Schweigen – Wenn 60 Frauen schreiben und der Kanzler lieber die Bohrmaschine anhört

Es gibt Momente, in denen man das Gefühl hat, die deutsche Politik sei eine Satire über sich selbst. Der neueste Fall: Ein Brandbrief von 60 Frauen aus Kultur, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft an Friedrich Merz – und der Kanzler reagiert darauf mit der feinsten aller politischen Ausdrucksformen: Stille.

Nicht etwa höfliche, nachdenkliche Stille, wie man sie von einem Mann erwarten würde, der in sich geht, um das Geschriebene zu reflektieren. Nein, eher die stoische Ruhe eines Menschen, der inmitten eines Waldbrands behauptet: „Ich bin hier, um über Holzpreise zu reden.“

Die Szene: Dresden, Handwerkskammer, Schweigeministerium

Die Journalistin fragt höflich: „Herr Merz, wie stehen Sie zu den Forderungen der 60 Frauen?“ Merz, souverän wie immer, antwortet sinngemäß: „Ich bin heute hier, um über die echten Themen zu sprechen.“

Echte Themen. Aha. Offenbar fällt Gleichberechtigung, Sicherheit im öffentlichen Raum und gesellschaftliche Teilhabe für Frauen in Deutschland unter die Kategorie „unverbindlicher Luxusdiskurs“. Stattdessen spricht der Kanzler über Zementpreise, Ausbildungszahlen und die Seele des deutschen Mittelstands.

Man könnte meinen, Merz hält den Brief der 60 Frauen für eine Broschüre über ökologische Wandfarben.

Der Brandbrief – oder: Wer „Töchter“ sagt, muss auch zuhören können

Zur Erinnerung: Der Brief war eine Reaktion auf Merz’ vielzitierte Aussage aus der sogenannten „Stadtbild-Debatte“. Damals sagte er den legendären Satz: „Fragen Sie mal Ihre Töchter.“ Ein Satz, der ungefähr so klingt, als wolle jemand feministische Politik mit dem Vokabular eines Familienratgebers aus den 1950ern lösen.

Die 60 Frauen nahmen ihn beim Wort. Wenn Töchter also die neue politische Quelle der Wahrheit sind – dann haben sie jetzt geantwortet. Mit zehn handfesten Forderungen. Kein Geschwafel, kein Gender-Geschwurbel, sondern klare Punkte: Schutz vor Gewalt, mehr Prävention, faire Chancen, sichtbare Beteiligung.

Und was macht der Kanzler? Er schweigt. Vielleicht, weil er seine Tochter wirklich gefragt hat – und die gesagt hat: „Papa, sag lieber nix. Du verschlimmerst es nur.“

Das Handwerk des Nichtstuns

In Dresden, umgeben von Spänen, Schrauben und Kaffeetassen mit „Wir schaffen das!“-Aufdruck, wirkt Merz in seinem Element. Da, wo es noch klare Hierarchien gibt, wo Männer anpacken und Frauen höchstens den Kuchen zum Richtfest bringen dürfen – so zumindest der Vibe seiner Wortlosigkeit.

Es ist fast poetisch: 60 Frauen sprechen über strukturelle Missstände, und Merz erklärt, er befasse sich lieber mit Dingen, die „die Menschen wirklich beschäftigen“. Offenbar leben in seinem politischen Universum keine Frauen, keine Wissenschaftlerinnen, keine Künstlerinnen – nur Handwerker, die über Dieselpreise debattieren.

Man könnte sagen, Friedrich Merz betreibt eine Art Gleichstellungspolitik nach dem Prinzip der Kreissäge: Alles, was nicht ins Konzept passt, wird glattgeschliffen.

Schweigen ist Silber, Wegsehen ist Gold

Natürlich kann man Merz’ Schweigen auch wohlwollend interpretieren. Vielleicht wollte er einfach nichts Falsches sagen. Verständlich, denn seine letzten „unbedachten“ Äußerungen sorgten ja für mehr Schlagzeilen als ein Berliner Flughafen in Bauverzug. Vielleicht sitzt irgendwo ein Kommunikationsberater, der ihm eingeschärft hat: „Friedrich, jedes Wort kann als sexistischer Unterton gedeutet werden. Sag am besten gar nichts mehr – das ist sicherer!“

Also schweigt der Kanzler. Und schafft damit das Kunststück, aus einer feministischen Debatte eine Parodie zu machen.

Die Frauen aber bleiben unbeeindruckt. In Talkshows, Zeitungen und Podcasts betonen sie: Es gehe nicht um Parteipolitik, sondern um Haltung. Um Sichtbarkeit. Um das kleine Detail, dass Frauen auch Teil der Gesellschaft sind, die der Kanzler angeblich so genau kennt.

Ein Kanzler aus einer anderen Zeit

Vielleicht ist Friedrich Merz wirklich ein Mann aus einer anderen Ära – aus einer Zeit, in der man Probleme noch „wegarbeiten“ konnte, am besten mit einem stabilen Werkzeugkasten und einem festen Händedruck. Eine Zeit, in der Frauen in politischen Diskussionen allenfalls als moralischer Beistand galten, nicht als Stimme mit eigenen Forderungen.

Doch 2025 funktioniert die Gesellschaft nicht mehr nach Handwerkslogik. Gleichstellung lässt sich nicht „verputzen“. Sie braucht mehr als den Satz: „Ich bin hier, um über echte Themen zu reden.“

Denn was ist echter als die Realität, dass Frauen täglich Diskriminierung erfahren? Dass sie seltener führen, öfter pflegen, häufiger bedroht werden – und genau das ansprechen, während der Regierungschef den Pressetext der Innung zitiert?

Die Kunst des politischen Schweigens

Merz’ Schweigen wird in die Annalen der modernen Kommunikationsgeschichte eingehen – als Beispiel für jene Sorte Politik, die lieber schweigt, wenn sie etwas sagen müsste, und redet, wenn alle hoffen, sie würde kurz still sein.

Die 60 Frauen haben das Gespräch gesucht. Der Kanzler hat den Ton ausgestellt. Vielleicht glaubt er, dass politische Gleichberechtigung sich wie ein guter Tisch selbst trägt – wenn man ihn nur lange genug stehen lässt.

Aber selbst das Handwerk weiß: Ohne Pflege rostet alles. Selbst die Glaubwürdigkeit eines Kanzlers.