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Politik

Joe Biden und das Märchen von der Demokratie – ein älterer Herr erzählt vom American Dream (und von der Realität dazwischen)

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Joe Biden und das Märchen von der Demokratie – ein älterer Herr erzählt vom American Dream (und von der Realität dazwischen)

Wenn Joe Biden spricht, klingt es manchmal wie eine Mischung aus Kirchenpredigt, Onkel-Geschichten am Kamin und einem besonders pathetischen Super-Bowl-Werbespot. „Freunde, ich kann nichts beschönigen. Es sind dunkle Zeiten“, verkündete der 82-Jährige nun in Boston – also jener Stadt, in der einst die amerikanische Unabhängigkeit begann und heute vermutlich der Kaffee stärker ist als das politische Rückgrat so mancher Abgeordneten.

Ein Märchen mit Laufzeitverlängerung

Biden, der bei seiner Rede fast schon wie der Großvater der Demokratie wirkte, sprach mit ernster Miene über den Zustand der Vereinigten Staaten: „Amerika ist kein Märchen“, sagte er. Das ist mutig, schließlich leben ganze Teile des Landes genau davon – vor allem jene, die noch immer glauben, ein Immobilienmogul mit orangener Hautfarbe sei der auserwählte Retter der Nation.

Aber Biden, der selbst inzwischen mehr Jahrzehnte im politischen Betrieb verbracht hat als manche seiner Wähler auf der Erde, weiß natürlich, wovon er redet. Er sprach von einem „Hin und Her zwischen Gefahr und Möglichkeit“, einem „existentiellen Kampf“ – und man konnte sich kurz fragen, ob er über Amerika sprach oder über seinen täglichen Kampf mit Treppen, Mikrofonen und Parteidisziplin.

Die Demokratie auf dem Laufband

Doch bei aller Satire: Biden hat nicht Unrecht. Die amerikanische Demokratie wirkt tatsächlich wie ein alternder Marathonläufer, der zwar schwitzt, stolpert und ab und zu gegen eine Ampel läuft – aber irgendwie trotzdem weiterkommt. Immer wieder gestärkt, weiser, gerechter – so beschreibt Biden das Selbstbild seines Landes. Das klingt allerdings ein bisschen, als würde man sagen, ein Haus sei „immer schöner geworden“, obwohl es alle zehn Jahre abbrennt.

Natürlich hat Amerika Krisen überstanden: Bürgerkrieg, Weltwirtschaftskrise, Vietnam, Watergate, Trump. Aber jedes Mal bleibt ein Brandfleck im Teppich, und das Land erklärt ihn anschließend zur modischen Patina.

Dunkle Zeiten mit Scheinwerferbeleuchtung

„Es sind dunkle Zeiten“, sagte Biden – und das Publikum nickte, als wüsste es genau, was er meint. Nur dass die Dunkelheit in den USA oft selbstgemacht ist. Zwischen politischen Extremisten, einer entgleisten Medienkultur und einem Kongress, der eher an eine Realityshow erinnert, ist die Finsternis manchmal nicht Ergebnis des Schicksals, sondern schlicht der Beleuchtung: zu viel Schein, zu wenig Licht.

Biden versucht, diese Dunkelheit mit Worten zu erhellen – große Worte, hoffnungsvolle Worte, solche, die nach Gettysburg klingen sollen, aber gelegentlich nach Teleprompter riechen. „Wir werden stärker daraus hervorgehen“, versprach er. Und irgendwo in Florida lachte Donald Trump vermutlich gerade und bestellte sich ein Steak – well done, versteht sich.

Ein Land im Dauer-Krisenmodus

Die USA befinden sich seit Jahren in einer Art Dauerzustand zwischen Selbstüberschätzung und Selbstzerstörung. Die Demokratie dort ist wie ein amerikanischer Pickup-Truck: groß, laut, unverwüstlich – aber gelegentlich mit Motorschaden und ohne TÜV. Dass Biden daran erinnert, dass Amerika „kein Märchen“ sei, ist daher schon fast revolutionär. Denn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat man die Realität gerne im Sonderangebot ignoriert.

Während Biden also in Boston Mut zusprach, kämpft seine eigene Partei mit einem Imageproblem: zu alt, zu zögerlich, zu nostalgisch. Die Republikaner dagegen sind laut, aggressiv und organisiert wie ein Wrestling-Team auf Speed. Zwischen beiden steht die amerikanische Bevölkerung – erschöpft, verschuldet und mit einem Netflix-Abo, das wenigstens noch Stabilität bietet.

Ein Präsident zwischen Pathos und Parkinsonwitzen

Biden bemüht sich um Würde, um Vertrauen, um Zusammenhalt – und manchmal wirkt es, als wolle er das Land an der Hand nehmen und sagen: „Kinder, ich hab das schon 1973 gesehen, das wird wieder.“ Er hat recht: Amerika hat schon vieles überlebt. Nur diesmal ist die Frage, ob es auch den ständigen Vergleich mit sich selbst überlebt.

Denn Biden mag von „Weisheit“ und „Gerechtigkeit“ sprechen – aber währenddessen schieben sich Politiker gegenseitig vom Rednerpult, TV-Moderatoren schreien Verschwörungstheorien in die Nacht, und der Supreme Court wirkt wie ein Richterpanel in einer dystopischen Gameshow.

Das Märchen geht weiter

Biden will glauben – an Amerika, an das Gute, an die Wiederauferstehung der Demokratie. Und vielleicht braucht das Land genau das: einen alten Mann mit gebrochenem Charme, der daran erinnert, dass Hoffnung manchmal wichtiger ist als Realität. Doch zwischen seinen Zeilen steckt auch bittere Ironie: Wenn das Märchen kein Märchen mehr ist, dann bleibt nur die Moral. Und die lautet: Amerika wird nicht stärker, weil es Krisen überwindet, sondern weil es gelernt hat, sie professionell zu verdrängen.