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Asphalt, AfD und andere Abgründe – Wie Kiel sich an einer Straße selbst blockierte

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Asphalt, AfD und andere Abgründe – Wie Kiel sich an einer Straße selbst blockierte

Manchmal braucht es keinen Korruptionsskandal, keine Lobbyistenaffäre und keinen gestürzten Minister, um das Land in Aufruhr zu versetzen. Nein, manchmal reicht – eine Straße. Eine schnöde, marode, von Schlaglöchern übersäte Straße mitten in Kiel, die es irgendwie geschafft hat, die gesamte politische Republik in Brand zu setzen.

Denn die Esmarchstraße ist nicht länger einfach eine Straße. Sie ist jetzt ein Symbol. Ein Symbol für den Zustand der Demokratie, für den moralischen Verfall – und für die fragile Psyche einer Gesellschaft, die schon hyperventiliert, wenn eine Abstimmung zufällig dieselbe Richtung nimmt wie die einer ungeliebten Partei.

Der Schauplatz: Kiel, Hauptstadt der Prinzipien

In der norddeutschen Gelassenheitszone, wo sonst der Wind die größte politische Aufregung verursacht, tobt seit Tagen ein Sturm der Entrüstung. Und das alles, weil die Grünen in einem städtischen Bauausschuss einen Antrag gestellt haben.

Der Antrag war – Achtung, halten Sie sich fest – für eine „lebenswerte, klimaangepasste und sozial gerechte Umgestaltung der Esmarchstraße“. Das klingt nach Innenstadtbegrünung, Fahrradständern und Latte macchiato im Mehrwegbecher – also eigentlich nach grünem Alltag. Aber der Teufel steckte, wie so oft, im Detail: Der Antrag sah den „Erhalt von Parkplätzen“ vor.

Und genau da platzte das politische Pflaster.

Parkplätze, Prinzipien und der Parteizorn

CDU und SPD lehnten den Antrag ab – vermutlich, weil in Deutschland jede Partei reflexartig dagegen stimmt, wenn sie eine Idee nicht selbst hatte. Doch dann geschah das Undenkbare: Die AfD stimmte zu.

Und plötzlich verwandelte sich der Bauausschuss in ein moralisches Katastrophengebiet. Aus einem banalen Verwaltungsakt wurde der „Brandmauerbruch von Kiel“ – ein Wort, das klingt wie eine mittelalterliche Katastrophe, aber in Wahrheit nur bedeutet: Jemand hat dasselbe abgestimmt wie jemand anderes, ohne vorher einen DNA-Test zu machen.

Die SPD sah rot – und nicht nur im Sinne der Parteifarbe. Co-Vorsitzender Enrico Tokar donnerte:

„Hier wurde eine rote Linie nicht versehentlich überschritten – sie wurde eingerissen!“

Seine Kollegin Bianca Wöller legte nach:

„Es geht nicht nur um eine Straße. Es geht um politische Verlässlichkeit.“

Kurz: Wer bei den Grünen bisher dachte, es ginge um Klimaschutz, liegt falsch – es geht jetzt um Exorzismus.

Die grüne Beichte

Grünen-Landesvorsitzende Anke Erdmann reagierte prompt und formulierte das, was in Deutschland mittlerweile der politische Bußritus ist:

„So was darf nicht passieren. Punkt. Ein schwerer Fehler.“

Ein Satz, den man sich gleich auf Knopfdruck in jede Pressemitteilung kopieren kann. So klingt eine Partei, die plötzlich merkt, dass sie vom moralischen Hochsitz in die Brandmauer-Hecke gefallen ist.

Denn die Grünen sind sonst diejenigen, die anderen gern erklären, wie gefährlich es sei, mit der AfD auch nur auf demselben Bürgersteig zu stehen. Jetzt mussten sie feststellen: Auch eine versehentliche Stimmengleichheit kann schon den Untergang des Abendlandes bedeuten – zumindest in den Augen der SPD.

Von Asphalt zu Apokalypse

Natürlich geht es offiziell „nicht um eine Straße“. Aber genau das ist das Problem: Es geht nie um das, worum es eigentlich geht. Es geht um Haltung, um Zeichen, um Signale – und darum, wer im moralischen Hochgebirge den schönsten Blick auf die eigene Tugend hat.

Dabei wäre die eigentliche Nachricht doch: Eine Stadt möchte endlich ihre maroden Rohre sanieren. Aber nein – in Deutschland kann man heute keine Leitung austauschen, ohne dass jemand die Demokratie in Gefahr sieht.

Das ist die neue deutsche Paradoxie: Wir schaffen es nicht mehr, eine Straße zu pflastern, ohne uns gegenseitig politische Betonmischer an den Kopf zu werfen.

Der OB-Wahlkampf als Nebenschauplatz des Weltuntergangs

Als wäre das alles nicht genug, kommt das Ganze wenige Tage vor der Oberbürgermeisterwahl in Kiel. Und als hätte das Drehbuch ein besonders zynischer Satiriker geschrieben, steht der grüne Kandidat Samet Yilmaz ohnehin schon unter Druck – wegen angeblicher Nähe zu türkischen Rechtsextremisten.

Kurz gesagt: Die Grünen haben gerade so viel Glück wie ein Fahrradfahrer im Kieler Dauerregen.

Die SPD hingegen nutzt die Gelegenheit, um sich als moralischer Feuerwehrmann zu inszenieren. Während die Grünen hektisch versuchen, ihre Brandmauer wieder aufzubauen, posiert die SPD davor – mit Schlauch, Helm und einem großen Banner: „Hier brennt nichts, solange wir dabei sind!

Und währenddessen kürt sie im Hintergrund Ulf Kämpfer zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2027. Ein Mann, dessen Name zufällig perfekt in die Metapher passt: Während die Grünen kämpfen, kämpft Kämpfer.

Brandmauer-Deutschland – ein Land im moralischen Sicherheitsmodus

Was bleibt von der Esmarchstraße? Ein politisches Lehrstück darüber, wie sehr Deutschland seine Symbolpolitik liebt. Die Schlaglöcher im Asphalt sind dabei nebensächlich – Hauptsache, die Brandmauer bleibt unversehrt.

Und so wird aus einer ganz normalen Bauausschusssitzung ein nationales Drama, bei dem man sich fragt, ob die Bundesrepublik nicht langsam einen eigenen Therapeuten für kollektive Empörung braucht.

Denn während sich alle gegenseitig Moralbescheinigungen ausstellen, wächst das Risiko, dass am Ende niemand mehr etwas beschließen darf – aus Angst, jemand Falsches könnte zustimmen.

Wenn der politische Kompass Parkverbot hat

Die Kieler Posse zeigt, wie absurd deutsche Politik inzwischen geworden ist: Eine Stadt will eine Straße sanieren – und landet mitten in einer Grundsatzdebatte über die Zukunft der Demokratie.

In Wahrheit ist es ganz einfach: Die Rohre sind marode, die Leitungen undicht, und der Asphalt bröckelt – in der Esmarchstraße ebenso wie im politischen Betrieb.

Aber immerhin kann man sagen: Kiel hat jetzt die moralisch reinste Baustelle Deutschlands.