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KI oder Kater? – Wenn die Börse glaubt, künstliche Intelligenz könne auch echte Gewinne zaubern
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- tmueller
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Die Aktienmärkte klettern – und zwar mit der Grazie eines dressierten Affen, der gelernt hat, auf einer Leiter Bananen zu zählen. Je länger die Kurse steigen, desto nervöser werden selbst die abgehärtetsten Börsen-Optimisten. Denn irgendwo zwischen Euphorie und Wahnsinn stellt sich die Frage: Kann das eigentlich alles noch stimmen?
Die Börse, so scheint es, hat sich in den letzten Monaten in einen digitalen Jahrmarkt verwandelt, auf dem alles, was „KI“ im Namen trägt, sofort zum Preisschützenkönig wird – selbst wenn es sich dabei nur um einen Toaster mit WLAN handelt.
Doch die Mahner sind schon da. Einige Investoren raunen von einer „Base“, die bald platzen könnte – was wohl das neue hippe Wort für Blase ist. Schließlich klingt „Base“ internationaler, trendiger, weniger nach 2001 und mehr nach „Tech-Bubble mit Personality“.
Wenn der Markt sich in Selbstoptimierung übt
Matthias Hüppe von der HSBC versucht, die aufgeheizten Gemüter zu beruhigen. Er sagt sinngemäß: Der Vergleich mit der Dotcom-Blase hinke. Natürlich hinkt er – die Dotcom-Blase trug Plateau-Schuhe und hatte ein Modem mit 56k. Heute hat sie einen Tesla und redet über neuronale Netze beim Lunch.
Hüppe meint, die Situation sei heute viel solider. Schließlich hätten Unternehmen mit KI-Bezug echte Umsätze, reale Produkte und – man höre und staune – Kunden. Das stimmt. Aber auch damals verkauften Menschen Katzenbilder als Geschäftsmodell, und jeder hielt es für die Zukunft.
KI – die neue Religion mit Algorithmus
Der Markt liebt aktuell drei Buchstaben: K, I. Das wirkt auf Investoren wie Weihrauch auf Ministranten. „Künstliche Intelligenz“ ist das neue „Wir haben das Internet“ – nur teurer, komplizierter und mit PowerPoint-Folien, die mehr Buzzwords enthalten als Substanz.
Unternehmen, die noch vor zwei Jahren Staubsauger oder Druckerpatronen verkauften, verkünden heute stolz ihre strategische KI-Transformation. Und Anleger applaudieren, als hätten sie gerade die Erfindung des ewigen Wachstums entdeckt.
Eine Firma ändert ihre Website von „Wir machen Software“ zu „Wir machen KI-getriebene Cloud-Lösungen für nachhaltige Synergien“ – und der Kurs springt 15 Prozent. Wenn das keine Effizienz ist, weiß man nicht, was ist.
Experten sehen Chancen – natürlich
Michael Proffe von „Proffe Invest“ sieht das naturgemäß positiv. Schließlich wäre es schlecht fürs Geschäft, in einer Fernsehsendung zu sagen: „Leute, zieht das Geld raus, es wird übel!“
Proffe erklärt, dass nicht nur klassische KI-Aktien wie Nvidia oder Alphabet profitieren werden, sondern auch die Zulieferer der Infrastruktur. Also alle, die Kabel, Chips, Kühlflüssigkeiten oder Strom verkaufen. Mit anderen Worten: Der halbe Planetenwirtschaftskreislauf ist jetzt Teil der KI-Revolution.
Das klingt, als würde man sagen: „Ich investiere in Bäcker, weil das Internet mehr Leute wachhält und die dann Brötchen kaufen.“ Aber an der Börse gilt: Wenn die Story gut klingt, wird sie geglaubt – Fakten sind nur was für Quartalsberichte.
Vom Boom zum Hype – und wieder zurück
Börsenhistoriker würden sagen: „Es war schon immer so.“ Jede technische Revolution beginnt mit Euphorie, geht in Größenwahn über und endet im Kater. Von der Eisenbahn über die Glühbirne bis zur Blockchain – irgendwann kommt der Moment, in dem man merkt: Man kann zwar alles automatisieren, aber nicht den gesunden Menschenverstand.
Doch diesmal, sagen die Experten, ist alles anders. Klar – das haben sie auch 1999, 2008 und kurz vor dem Wirecard-Kollaps gesagt.
Vielleicht stimmt es ja auch. Vielleicht wird KI die Welt tatsächlich so verändern, dass jeder Algorithmus ein Jobwunder auslöst. Oder sie sorgt dafür, dass irgendwann ein Chatbot selbst den „ntv Zertifikate Talk“ moderiert – kostengünstig, unemotional und ohne Pausenkaffee.
Anleger zwischen Hoffnung und Hypnose
Der typische Anleger hat inzwischen zwei Zustände:
- FOMO – Fear of Missing Out: Die Angst, die nächste Kursrakete zu verpassen.
- FOMA – Fear of Market Apocalypse: Die Angst, dass alles morgen kracht.
Dazwischen liegt ein seelisches Spannungsfeld, das man früher schlicht „Börsenfieber“ nannte. Heute ist es KI-basiert, datengetrieben und natürlich steuerbar – solange die Algorithmen gerade gute Laune haben.
Während Hüppe und Proffe über Chancen sprechen, fragen sich viele: Wie lange geht das noch gut? Aber das ist an der Börse egal. Solange man Gewinne macht, ist Skepsis nur etwas für Journalisten und Steuerprüfer.
KI: die künstliche Inflation
Künstliche Intelligenz hat die Wirtschaft verändert – das stimmt. Aber sie hat auch etwas anderes geschaffen: künstliche Inflation im Denken. Jede Firma, die noch keine KI nutzt, gilt als technologischer Dinosaurier. Jede Aktie ohne Buzzword verliert an Sexappeal.
Dabei ist KI – nüchtern betrachtet – nichts weiter als Mathematik mit PR-Beratung. Nur dass sie in Aktienkursen plötzlich göttliche Fähigkeiten entwickelt: Sie soll Energieprobleme lösen, Krankheiten heilen, Wirtschaftskrisen verhindern – und wahrscheinlich bald auch den Weihnachtsmann ersetzen.
Zwischen Algorithmus und Apokalypse
Die Diskussion im „ntv Zertifikate Talk“ zeigt, wie absurd das Börsengeschehen manchmal wirkt: Ein Teil der Experten versucht, rationale Erklärungen zu liefern – der andere Teil hofft einfach, dass der Hype noch ein paar Monate hält.
KI ist die neue Religion des Kapitalismus: Wer nicht glaubt, bleibt zurück. Wer glaubt, könnte reich werden – oder zum nächsten Punkt in der Statistik der geplatzten Träume gehören.
Und während die Kurse steigen, träumen Anleger davon, den nächsten Nvidia zu erwischen. Bis sie irgendwann feststellen: Auch künstliche Intelligenz kann echte Blasen produzieren – nur eben digitaler.