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Halblaut, aber hohl: Wie im Bundestag zwischen AfD-Sprüchen und parlamentarischer Würde jongliert wird
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- tmueller
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Der Deutsche Bundestag – ein Ort, an dem eigentlich die Zukunft gestaltet wird, idealerweise mit Verstand, Haltung und einem Mindestmaß an Professionalität. Doch manchmal verwandelt sich das Parlament in eine seltsame Mischung aus Debattierclub, Selbsthilfegruppe und kommentiertem Hinterhofgespräch. Besonders dann, wenn die Geräuschkulisse aus der Ecke kommt, in der die AfD-Abgeordneten sitzen – und offenbar glauben, die Mikrofone des Plenarsaals seien schalldicht oder von der parlamentarischen Schweigepflicht geschützt.
Die Bundesgesundheitsministerin und Vorsitzende der Frauen Union, Nina Warken, gibt nun Einblicke in akustische Zustände, die eher in eine schlecht beleuchtete Spelunke passen als in das höchste demokratische Gremium des Landes. Sie sitzt – man könnte sagen: unglücklicherweise – nah genug an den AfD-Sitzen, um mehr zu hören, als irgendein Mensch freiwillig hören möchte. Und das nicht etwa politische Analysen, parlamentarische Randbemerkungen oder differenziert vorgetragene Einwände, sondern Kommentare, die man, wäre man optimistisch, als „unterirdisch“ bezeichnen könnte. Warken hingegen wählt ein Wort, das treffender kaum sein könnte: erschreckend.
Sie berichtet von „herabwürdigenden Kommentaren“, „unterirdischen Bemerkungen“ und einem Frauenbild, das nicht nur antiquiert ist, sondern vermutlich schon im Museum für Vor- und Frühgeschichte als Exponat stehen könnte – irgendwo zwischen Faustkeil und Bronzezeitkrug.
Was nicht im Protokoll steht, aber in den Ohren brennt
Das Parlamentsprotokoll ist ein ehrwürdiges Dokument, das die wichtigsten Debatten festhält. Was es jedoch nicht erfasst: geflüsterte und halblaute Kommentare, die offenbar in einigen Reihen als Sportveranstaltung geführt werden. Warken erklärt, dass viele dieser Äußerungen gar nicht erst niedergeschrieben würden – vielleicht aus Rücksicht, vielleicht aus Schamgründen, vielleicht, weil man das Papier vor Verlegenheit nicht krümmen möchte.
Die Bemerkungen zielen auf Aussehen, Kleidung, Körperhaltung – kurz: auf alles, was nicht politisch ist. Eine erstaunliche Leistung: Man sitzt im Bundestag, man wird für politische Arbeit bezahlt, und trotzdem widmet man sich lieber modischen Bewertungen, die nicht einmal im Pausenhof eines Gymnasiums durchgehen würden.
Es ist eine Art permanenter politischer Kommentar-Spam, der direkt aus einer Zeit kommt, in der man noch glaubte, Frauen Politik „erklären“ zu müssen. Oder schlimmer: in der man dachte, Frauen sollten vor allem gut aussehen, während Männer die Welt erklären. Kurz: Eine Ästhetik, die so aus der Zeit gefallen ist, dass sogar Dinosaurier sie alt finden könnten.
Die „Würde des Parlaments“ – ein Begriff, der nicht hausgemacht scheint
„Das geht so nicht. Das ist der Würde des Parlaments nicht angemessen“, mahnt Warken. Ein Satz, der vermutlich noch viel eleganter klingt, wenn man nicht gleichzeitig innere Bilder davon hat, wie Abgeordnete flüstern: „Hast du ihre Jacke gesehen?“ oder „Die soll mal nicht so...“ – der Rest bleibt aus Gründen der Sittlichkeit unausgesprochen.
Wie sehr kann die Würde des Parlaments verletzt werden? Man weiß es nicht. Aber sie scheint erstaunlich robust zu sein, wenn sie selbst diesen auditiven Dauerbeschuss aushält. Vielleicht sollte man die Würde als Baustoff einsetzen: Sie hält offenbar mehr aus als Beton.
Die AfD – im Selbstbild Opfer, in der Realität Lautsprecher
Es ist fast ironisch: Die AfD beklagt in schöner Regelmäßigkeit, dass sie im Bundestag unfair behandelt würde, dass man ihre Meinungsfreiheit beschneide und dass sie mundtot gemacht werden solle. Nun erfährt man, dass einige ihrer Abgeordneten offenbar sehr aktiv daran arbeiten, andere mundfaul zu machen – indem sie den Raum mit Kommentaren fluten, die weniger mit Meinung und mehr mit mangelnder Kinderstube zu tun haben.
Während andere Parteien versuchen, mit Argumenten zu überzeugen, scheint die AfD gelegentlich der Ansicht zu sein, dass Bemerkungen aus dem emotionalen Untergeschoss eine Form politischer Debatte seien. Eine Fehlannahme, die im Plenarsaal ungefähr so gut funktioniert wie ein Klingelbeutel im Nachtclub.
Frauen im Bundestag? Ja – aber bitte ohne Belästigungsabonnement
Warken betont, niemand solle sich davon einschüchtern lassen. Ein Satz, der stark klingt – aber zugleich einen Zustand beschreibt, der nicht existieren sollte. Warum sollten Abgeordnete überhaupt mit solchen Kommentaren umgehen müssen? Warum muss die Politik überhaupt über „Mut“ sprechen, wenn es um die Teilnahme am parlamentarischen Alltag geht?
Es ist ein Zustand, der anachronistisch wirkt. Frauen in der Politik sind keine Ausnahmeerscheinung, keine Quote auf zwei Beinen und schon gar keine Freiwildzone für schlechte Laune und unangebrachte Bemerkungen.
Ein gemeinsamer Appell – und die Hoffnung, dass Lautstärke kein Argument ersetzt
Warken fordert, das Verhalten müsse „gemeinsam geächtet“ werden. Richtig so. Denn Demokratie lebt von Debatten, nicht von Attacken. Von Argumenten, nicht von Anzüglichkeiten. Und von Respekt, nicht von Flüstern aus der Gruft des patriarchalen Vorturnens.
Vielleicht muss das Parlament begreifen, dass Demokratie nicht nur Abstimmungen und Reden bedeutet – sondern auch das, was zwischen den Zeilen und in den Sitzreihen passiert. Ein Parlament, das sich selbst ernst nimmt, sollte die Würde des Hauses nicht nur schützen, wenn Kameras an sind, sondern auch dann, wenn jemand flüstert: „Ich sag’s mal ganz ehrlich…“