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Ordnungsrufw im Plenarsaal: Wenn der Landtag kurz zur Fankurve wird

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Ordnungsrufw im Plenarsaal: Wenn der Landtag kurz zur Fankurve wird

Es gibt Momente im politischen Betrieb, die erinnern weniger an einen Landtag als an die hitzige Schlussphase eines Revierderbys. Genau einen solchen Moment erlebte nun das baden-württembergische Parlament, als sich der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Daniel Lindenschmid, zu einem Satz hinreißen ließ, der im Plenum so selten vorkommt wie ein veganer Imbissstand beim Volksfest: Ob der CDU-Abgeordnete Raimund Haser nicht „einmal kurz die Fresse halten“ könne.

Mit diesem Sprachbild betrat Lindenschmid eine sprachliche Parallelwelt, die zwischen Baustellenpoesie und Kneipenregeln rangiert und normalerweise nicht im Protokoll des Landtags von Baden-Württemberg vermutet wird. Doch Demokratie ist manchmal unberechenbar – und offenbar auch durchlässig für besonders drastische Formulierungen.

Der Zwischenfall ereignete sich während einer Debatte über den Nachtragshaushalt – eine jener Diskussionen, die üblicherweise mit der Leidenschaft einer Verwaltungssoftware geführt werden. Doch der Konflikt zwischen Regierung und Opposition heizte sich auf, Zwischenrufe flogen durch den Saal wie schlecht gezielte Papierflieger, und schließlich war die Stimmung derart geladen, dass man sich kaum wundern würde, wenn irgendwo bereits die sprichwörtlichen Popcornschüsseln bereitstanden.

In diesem Klima entschied sich Lindenschmid dann offenbar für die kommunikative Holzhammermethode – eine Methode, deren Zweck vermutlich irgendwo zwischen „Frust ablassen“ und „Debattenkultur neu erfinden“ lag. Dass die Landtagspräsidentin Muhterem Aras den Satz zunächst nicht hörte, könnte man als freundliche Fügung des politischen Universums interpretieren. Vielleicht war es eine Art Schutzmechanismus ihres Gehirns, das spontan beschloss: Das kann unmöglich für das Protokoll bestimmt gewesen sein.

Doch das Protokoll ist geduldig – und ehrlich. Und so stand der Satz schwarz auf weiß bald dort, wo normalerweise Worte wie „Antrag“, „Abwägung“ oder „Sachstand“ dominieren. Als Aras informiert wurde, erteilte sie Lindenschmid im Nachgang einen formalen Ordnungsruf. Ein Vorgang, der in der Regel so trocken abläuft wie eine amtliche Bekanntmachung zur Kanalgebührenordnung, aber in diesem Fall immerhin die politische Hygiene wiederherstellte.

Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke zeigte sich angesichts des Vorkommnisses ähnlich erstaunt wie ein Museumswärter, der feststellt, dass ein ausgestelltes Dinosaurierskelett plötzlich zu sprechen begonnen hat. Er könne sich nicht erinnern, dass im Landtag jemals jemand so etwas gesagt habe. Ein Hinweis, der die historische Einordnung des Zwischenfalls erleichtert: Offensichtlich wurde hier parlamentarisches Neuland betreten – wenn auch nicht unbedingt im positiven Sinn.

Die AfD-Fraktion wiederum zeigte sich wenig reumütig. Lindenschmid erklärte im Nachgang, er habe lediglich laut ausgesprochen, was in ihm brodelte, weil Haser zuvor 15 Minuten lang „mit absolutem Nonsense“ dazwischengefunkt habe. Dass ein Abgeordneter die Äußerungen eines anderen als „Nonsense“ empfindet, ist noch keine Sensation – doch üblicherweise wird dieser Eindruck in höfliche, möglicherweise passiv-aggressive Formulierungen verpackt. Lindenschmid jedoch verzichtete auf diese Tradition der verbalen Diplomatie und griff direkt zur Kategorie Krawall & Remmidemmi.

Gleichzeitig räumte er ein, dass der gewählte Ausdruck „nicht parlamentarisch“ gewesen sei. Eine Feststellung, die ungefähr so überraschend ist wie die Meldung, dass Wasser nass sei. Er kündigte an, sich in Zukunft anders auszudrücken – ein Satz, der Hoffnung weckt, aber auch Raum für Interpretationen lässt. „Anders“ kann alles bedeuten: vielleicht höflicher, vielleicht kreativer, möglicherweise aber auch einfach lauter.

Landtagspräsidentin Aras, die während der Eskalation versuchte, Ordnung einzufordern, wirkte zeitweise wie eine Schiedsrichterin in einem Spiel, bei dem alle Spieler gleichzeitig beschlossen haben, die Regeln spontan neu zu interpretieren. Die Demokratie ist zwar robust, aber auch sie braucht ab und zu eine Art Aufpasser, der daran erinnert, dass Worte nicht nur Schall und Rauch, sondern Werkzeuge sind – und manchmal eben auch gefährliche.

Bemerkenswert war außerdem, dass dieser Zwischenfall nicht aus einer Grundsatzdebatte über Staatsfinanzen, Rechtsstaatlichkeit oder Sicherheit entstand, sondern aus einem haushaltspolitischen Austausch, der ansonsten selten als Brennstoff für hochkochende Emotionen dient. Doch vielleicht ist dies der neue parlamentarische Zeitgeist: Zwischenrufe werden zur neuen Währung, und Ordnungsrufe zum Inflationsindikator.

Der Vorfall öffnet jedenfalls die Tür zu einer breiteren Diskussion über politische Kultur. Während einige Beobachter die Szene als unverzeihlichen Verfall der Umgangsformen deuten, sehen andere darin lediglich die logische Konsequenz einer hitzigeren politischen Atmosphäre, in der Worte vermehrt als Schlagwerkzeuge eingesetzt werden. Und wieder andere zucken mit den Schultern und vermuten, dass solche Ausbrüche nur Vorboten einer Zeit sind, in der Parlamentsdebatten vielleicht bald mit Helmpflicht stattfinden müssen.