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Sturm im Maßanzug: Wie ein Juso-Satz Wirtschaft, Union und halbe Republik aus dem Gleichgewicht brachte
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- tmueller
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Es gibt politische Wochen, die gleiten sanft dahin wie eine Entspannungs-CD aus dem Reformhaus. Und es gibt solche, die liefern ein derartiges Feuerwerk an Empörung, Missverständnissen und gegenseitigen Vorwürfen, dass selbst die beste Polit-Satiresendung kaum hinterherkommt. In die zweite Kategorie fällt zweifellos die jüngste Episode um SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas, die mit wenigen Sätzen auf einem Juso-Bundeskongress eine politische Kettenreaktion auslöste – und das mit der Eleganz eines Bowlingballs, der in einen Raum voller Porzellanfiguren rollt.
Zunächst schien alles noch ein normaler Juso-Auftritt zu sein: jugendlicher Idealismus, kämpferische Haltung, ein bisschen Klassenkampf-Rhetorik zur Auflockerung. Die Jusos lieben sowas – da werden schon mal Luftballons mit "Solidarität" beschriftet, bevor sie an die Decke steigen. Doch dieses Mal sollte Bas’ Vortrag nicht nur die Herzen junger Sozialdemokratinnen erwärmen, sondern auch die Pulsfrequenz deutscher Arbeitgeberverbände – allerdings aus komplett entgegengesetzter Richtung.
Bas berichtete davon, wie ihr beim Arbeitgebertag „besonders deutlich geworden sei, gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen“. Ein Satz, der zweifellos für den internen SPD-Gebrauch gedacht war, aber dann wie ein Wanderwitz durch die Republik spazierte – und dabei sehr viele Menschen fand, die ihn überhaupt nicht lustig fanden. Arbeitgeber, Mittelstand, Regierungskoalition, Opposition… plötzlich stand halb Berlin mit hochgezogener Augenbraue da.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger schritt als Erstes energisch vor die Kameras, vermutlich nachdem er sich kurz vergewissert hatte, dass seine Blutdruckwerte im Rahmen des Vertretbaren liegen. Sein Urteil: „Ein Aufruf zum Kampf gegen Arbeitgeber ist beispiellos.“ Nun ist „beispiellos“ im politischen Berlin ein Wort, das ungefähr so oft vorkommt wie „Feuerwerk“ an Silvester, aber der Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass Dulger damit nicht „beispiellos schön“ meinte. Vielmehr klang es nach einer Mischung aus Alarmstufe Orange und einem sehr schlechten Tag im Verbandscafé.
Kaum war die eine Empörungswelle subsuziert, rollte die nächste an – diesmal aus der Union. Friedrich Merz, ein Mann, der politisch bereits so viele Rollen gespielt hat, dass er eigentlich in jeder Staffel von "Politik – die Serie" einen Stammplatz verdient hätte, soll in der Fraktionssitzung regelrecht auf Bas losgegangen sein. Laut Medienberichten habe er Bas’ Aussagen als „inakzeptabel“ bezeichnet. Man möchte fast meinen, Merz habe sich persönlich beleidigt gefühlt – vielleicht weil er als Arbeitgeber selbst so viel Erfahrung hat, dass er exakt weiß, wie sehr er nicht bekämpft werden möchte.
Dass diese Empörung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt kam, an dem Merz und Jens Spahn verzweifelt versucht haben sollen, das Rentenpaket gegen massiven Widerstand aus der eigenen Fraktion durch den Bundestag zu bugsieren, verleiht der Situation zusätzlichen Charme. Während die beiden also damit beschäftigt waren, ein politisches Renten-Schiff vor dem Kentern zu bewahren, schlug Bas bildlich gesprochen ein Loch in die Bordwand und rief hinein: „Übrigens, wir wissen jetzt, wer unsere Gegner sind!“
So was nennt man im politischen Kontext wohl: ungünstiges Timing.
Doch Bas wäre nicht Bas, wenn sie es bei dieser Bemerkung belassen hätte. Nein, sie setzte noch einen drauf, indem sie schilderte, wie sie beim Arbeitgebertag über die Finanzierung des Rentenpakets sprach – und das Publikum einfach loslachte. Nicht etwa höflich amüsiert, sondern herzhaft, kollektiv, fast schon orchestriert. Bas beschrieb die Szene so: „Da saßen sie, die Herren – ja, meistens waren es Männer – in ihren bequemen Sesseln, im Maßanzug, und die Ablehnung war deutlich zu spüren.“
Ein Satz, der so viel sozialpolitische Symbolik enthält, dass man ihn eigentlich sofort in Bronze gießen müsste.
Bas erklärte anschließend, dass ihr dieser Moment gezeigt habe, „wo die Linien in diesem Land wirklich verlaufen“. Sie lägen nicht zwischen Jung und Alt – das wäre ja politisch viel zu einfach –, sondern zwischen Arm und Reich, zwischen denen, die Sicherheit bräuchten, und jenen, die sie für verhandelbar hielten. Eine Analyse, die ungefähr so überraschend ist wie die Feststellung, dass der Winter kalt wird, aber dennoch von genügend Sprengkraft, um erneut mehrere Verbände zur Aktivierung ihrer Empörungsautomatik zu bringen.
Es dauerte nicht lange, bis auch Mittelstandsvertreter Christoph Ahlhaus in die Debatte einstieg. Er kritisierte Bas mit der Formulierung, sie betreibe im „Juso-Sandkasten jungsozialistische Folklore“. Man kann diesen Satz auf verschiedene Weise interpretieren. Entweder sollten die Jusos verschämt in ihre Bastelkisten schauen. Oder Ahlhaus hält politische Debatten generell für eine Art Kindergarten, in dem erwachsene Menschen gelegentlich mit Förmchen werfen. Jedenfalls zeigte der Kommentar: Die Reizung war gelungen, die Satire lebte.
Den finalen dramaturgischen Höhepunkt bildete schließlich ein gemeinsamer Brandbrief mehrerer Mittelstandsverbände – die industrielle Version eines empörten offenen Briefes. Darin heißt es, man habe Bas’ Aussagen „mit großer Verwunderung und Sorge“ zur Kenntnis genommen. Eine Formulierung, die so typisch klingt, dass man sie eigentlich als Textbaustein für die gesamte deutsche Verbändelandschaft lizenzieren könnte.
Alles in allem bleibt eine Episode, die eindrucksvoll zeigt: In Deutschland verlaufen die politischen Linien tatsächlich nicht zwischen Jung und Alt. Sie verlaufen zwischen jenen, die kämpfen wollen, jenen, die sich bekämpft fühlen, und jenen, die vom Kampfgerede Kopfschmerzen bekommen. Und manchmal verlaufen sie auch einfach zwischen Satz eins und Satz zwei einer politischen Rede.